Bürgerliches Recht. 99
nicht brachliegen zu lassen, und so entwickelte sich die spekulative Übertragung: denn meist werden
die Verkehrsbedürfnisse am besten dadurch befriedigt, daß sich die Spekulation, der berechtigte
Verkehrsegoismus, ihrer bemächtigt.
Zwei Mittel haben sich hierbei den Völkern vor allem dargeboten; das eine Mittel bestand
darin, daß man die Forderung an eine Urkunde kettete und so gestaltete, daß an den Träger
der Urkunde bezahlt werden sollte: dann konnte man die Urkunde beliebig als ein körperliches
Vermögensgut übertragen, und der Inhaber der Urkunde war berechtigt, Zahlung anzunehmen
oder auch die Forderung einzutreiben. Dieses Institut hat sich schon bei alten Kulturvölkern
entwickelt, z. B. bei den Babyloniern: die Urkunde hatte hier einen gewissen Zauber; an ihr
haftete die Forderung, und wurde sie bezahlt, so wurde die Urkunde zerschlagen. Denselben
Entwicklungsgang hat auch das germanische Recht durchgemacht 1, er hat aber hier weiter-
geführt: man ist nicht bei der Ubertragung stehen geblieben, sondern bis zum Inhaberpapier
vorgedrungen.
Die andere Bildungsform ist die, daß man die Forderung als ein geistiges Wesen, als
ein unkörperliches Gut auf einen anderen übergehen läßt, und die Übertragung geschieht daher,
wie die Ubertragung solcher geistiger Güter, formlos; denn man hat nichts Körperliches, woran
das Recht sich heftet, und kann mithin den Üübergang nicht durch eine körperliche Übergabe
kennzeichnen 2.
Eine solche Übertragung der Forderung als eines unkörperlichen Gutes heißt Abtretung,
im gemeinen Leben Zession. Im römischen Recht wandte man sich zu diesem Zwecke an
den Prozeß: hier hatte man eine äußerliche Betätigung; eine Handlung vor Dritten,
welche sich noch zudem an das Gericht anlehnte: der Prätor konnte erklären, daß, wenn
A. der Gläubiger ist, der Richter den Schuldner zur Zahlung nicht an den Gläubiger
A, sondern an den B. verurteilen solle; B. wurde dadurch Rechtsnachfolger des A. Daher
bedurfte es ursprünglich eines Prozeßbeginns, um die Ubertragung zu bewirken und
den anderen Teil in das Forderungsrecht einzusetzen. Dies wurde erleichtert, als man
den Prozeß durch denuntiatio an den Beklagten eröffnen konnte, und so entwickelte sich
die Zession in der Art, daß zum Abtretungsvertrag eine Denunziation an den Schuldner
gehörte. Von diesem Stande aus ist die Zession in das gemeine Recht übergegangen.
Die Bedeutung der Denunziation ist von nun an der Kern der ganzen Entwicklung gewesen.
Streifte man hier das prozessuale Gewand ganz ab, so konnte die Denunziation nur den Sinn haben,
dem Schuldner von der Abtretung Keuntnis zu geben: sie wurde zur Benachrichtigung; denn
daß der Schuldner in irgendeiner Weise die Abtretung kennen muß, ist begreiflich: solange er
davon keine Kunde hat, muß er sich darauf verlassen können, daß der bisherige Gläubiger sein
Gläubiger ist, und muß es ihm möglich sein, diesem zu zahlen oder sonst die weiteren Entwicklungen
— — — —— —
Vgl. Urkunde Rialto v. 1168 (Arch. Veneto VIII p. 148): promissionis cartam vobis
damus et transactamus cum omni suo vigore et robore, habendi, tenendi, inquirendi, inter-
pellandi, placitandi, execuciendile:.
Auch diese Art der Übertragung finden wir im mittelalterlichen Italien; so in Urkunde v.
9. April 1193Bettoni, storia della riviera di Sald III Nr. 13: Abbas dedit, cessit, mandavit
omnes rationes et acciones .. ita ut ipse U. et f. possint movere et intentare et agere et
excipere sicut dominus Abbas posset, si retinuisset. Ferner Como 1254 (M. hist. patr. XVI
p. 435). Daß das deutsche Recht der Zession nicht so feindselig war, wie man früher
meinte, darüber vortrefflich Buch, üUbertragbarkeit der Forderungen im deutschen mittel-
alterlichen Recht (1912). Schon vor Jahren führte mich das Studium des deutschen Pfand-
rechts zu ähnlichen Ergebnissen (Pfandrechtliche Studien S. 235 f.). Dem griechisch-hellenischen
Recht war die Zession bekannt, Wenger in der Ehrengabe für Fadda IV S. 84—97; über das
byzantinische Recht vgl. die Münchner Papiri (1914) Nr. 10. Über die Entwicklung in den Glossa-
toren= und Postglossatorenschulen vergleiche Fränkel, Zeitschrift f. Handelsrecht 66 S. 328 f.
In den italienischen Statuten finden sich allerdings noch viele Vorsichtsmaßregeln, z. B. in Mai-
land 1498 a. 445 muß der Zedent schwören, se esse verum creditorem .. et duod de suo codit.
jus et non in fraudem alicujus; oder die Zession ist nur in bestimmten Fällen erlaubt, z. B. zur
datio in solutum, Brescia 1216 und 1313 III 190 (Mon. hist. patr. Leges municip. II p. 1769);
dazu kommt das häufige Verbot der Zession eines streitigen Anspruchs (Rom 1363 177; bei
Infamie), sowie der Zession an einen Ausländer (Pesaro 1530 III 83, S. Elpidio III 80)
oder in potentiorem, Pisto ja 1284 c. 112 (Ed. Zdekauer), S. Elpidio III 80 (persona
botentior: advocatus, medicus. notarius).
Fr
I