Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Zweiter Band. (2)

Bürgerliches Recht. 7 
Charakter annahm und die Gefahr nahelegte, daß die sich hiermach bildende Jurisprudenz recht 
formal und kleinlich ausfallen werde. 
Der Entwurf wurde einer Revision unterworfen, welche manches verbesserte und der 
Fassung ein menschlicheres Gewand verlieh. Eine Anderung von Grund aus war nicht möglich. 
Im Jahre 1895 wurde der neue Entwurf dem Bundesrat überreicht, und am 18. Januar 1896 
kam die Vorlage an den Reichstag, in welchem einiges, aber nicht gar zu viel geändert wurde. 
Die Kommission des Reichstages hat allerdings einige wesentliche Verbesserungen gebracht, 
während die Beratungen selber mit den bedeutenden Problemen des Gesetzbuches sich wenig 
befaßten; Dinge wie der Wildschaden wurden eifriger debattiert als die gewaltigen zivilistischen 
Fragen, die das Gesetzbuch aufrührte. Die zweite und dritte Lesung fanden im Juni und Juli 
1896 statt, am 14. Juli wurde die Vorlage durch den Bundesrat angenommen, und am 18. August 
1896 erfolgte die Verkündung. So ist das Gesetzbuch geworden 1, ganz gemäß der Geschichte 
unseres Volkes, die uns so oft das Schauspiel bietet, wie man sich jahrelang in Irrgängen be- 
wegte, bis im rechten Augenblick immer noch etwas Gedeihliches zustande kommt. Allerdings 
kann sich das Gesetzbuch weder materiell noch formell mit dem Schweizer Gesetzbuch messen, 
das einige Jahre darauf in Kraft trat und unser Gesetzbuch riesenhoch überragt: das Werk eines 
einzigen genialen Mannes, derallerdings mit tüchtiger Mithilfe arbeitete, ein Gesetzbuch, jugendfroh 
dem germanischen Geist entsprungen, ohne die senilen Züge, die unser Bürgerliches darbietet! — — 
Immerhin, wir müssen uns damit abfinden, und es kann etwas Bedeutendes entstehen, 
wenn die Rechtspflege den formalistischen Landrechtsgeist aufgibt und in freier Rechtsbehandlung 
die Aufgabe der Gegenwart erfaßt. Sobald der letzte Jurist der alten Methode zu judizieren 
aufhört, wird für unser Recht eine bessere Stunde schlagen. 
A. Allgemeiner Teil. 
Erstes Buch. 
Rechtsquellen. 
§l# 3. Als Rechtsquellen dienen nach allgemeinen Grundsätzen Gesetz und Gewohn- 
heitsrecht, und zwar als gleichberechtigt und gleichwertig, Art. 2 BGB., so daß Reichs- 
gewohnheitsrecht dem Reichsgesetz, Landesgewohnheitsrecht dem Landesgesetz gleichsteht. Was 
die Autonomie, d. h. die normgebende Kraft anderer Faktoren betrifft, so kommen außer den 
staatlich gestatteten Normierungen der öffentlichen Verbände nur noch die Autonomie- 
bestimmungen von Fürsten und Adel nach Art. 57, 58 BGB. in Betracht. 
Wir haben es im folgenden hauptsächlich mit Reichsrecht und namentlich mit dem BG. 
zu tun. 
§s 4. Die Fassung des B ist völlig unvolkstümlich. Es führt nicht die Sprache wie 
etwa der Coce civil oder das Schweizer Gesetzbuch, ja, es hat auch nicht einmal die Volkstümlich- 
keit unseres Handelsgesetzbuches. Gerade das Schweizer Gesetzbuch übertrifft hier das BG. 
im ganzen wie in Einzelheiten 7. 
Ein abstraktes und unvolkstümliches Gesetzbuch ist vom UÜbel, und abstrakt ist das BG#. 
bis zum Exzeß. Die Sprache ist nicht die Sprache des Volkes, sondern die papierene Sprache 
der Bureaukratie und diese oft bis zum Außersten getrieben. Anstatt beispielsweise zu sagen: 
der gutgläubige Erwerber wird Eigentümer, heißt es in §932: er wird Eigentümer, „es sei denn, 
daß er zu der Zeit, zu der er nach diesen Vorschriften das Eigentum erwerben würde, nicht in gutem 
1 Zitiert BGB. mit Paragraphen. Wo Artikel (a. oder Art.) zitiert werden, ist das Ein- 
führungsgesetz gemeint. » 
7 Vgl. dazu meinen Aufsatz: Eugen Huber und das Schweizer 86. im Rhein. Arch. V
	        
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