Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Zweiter Band. (2)

128 J. Kohler. 
Ein ähnlicher Fall liegt vor 2. in der Entwicklung des Schuldrechts. Die Rechts- 
ordnung kann gar nicht anders verfahren, als daß sie unter Umständen den Schuldner freigibt, 
auch wenn er an die unrechte Person gezahlt hat (§§ 851, 1058, 2367 BGB.). In diesem Falle 
wird der Schuldner befreit, der Empfänger der Zahlung aber wird zu Unrecht bereichert: das 
Recht bedarf einer Korrektur, § 816 BGB. 
Ein 3. Fall der Selbstkorrektur des Rechts ergibt sich aus dem Rechtsverkehr. Die Rechts- 
begründungen erfolgen häufig um wirtschaftlicher Zusammenhänge willen; die Rechtsordnung 
kann aber, ohne vollkommenes Unheil zu erregen, den Erfolg der Rechtsbegründung nicht von 
dem Eintritt der wirtschaftlichen Zusammenhänge abhängig machen. Tritt daher der Zusammen- 
hang nicht ein, so ist der Rechtserfolg doch eingetreten, aber gegen den Sinn des rechtsbegründenden 
Geschäfts. So, wenn eine Schuld bezahlt wird; das Hingegebene wird Eigentum: ein be- 
dingter Übergang des Eigentums würde schwere Unsicherheit bringen; das Eigentum geht daher 
über, auch wenn die Schuld nur eine scheinhafte, eingebildete ist; hier aber zeigt sich das Er- 
gebnis als ein ungerechtfertigtes 1. Windscheid hat diese Erscheinung durch die Denkform 
der Voraussetzung zu erklären versucht. Das ist richtig; doch ist die Voraussetzung nur ein anderer 
Ausdruck dafür, daß die dingliche Hingabe zwar selbständig ist, aber mit einem bestimmten zu 
erreichenden Zweck in wirtschaftlichem Zusammenhang steht, und zwar kraft des im Verkehr 
geäußerten Willens. Wo immer im Verkehr ein solcher Zusammenhangswille geäußert wird, 
und wo trotzdem der dingliche Erfolg unabhängig von dieser Verbindung eintritt, kann man von 
Voraussetzung sprechen: die Voraussetzung ist nur ein Wort für den hiermit für wesentlich erklärten 
wirtschaftlichen Zusammenhang, für einen Zusammenhang, welcher Zusammenhang bleibt trotz 
der sachenrechtlichen Selbständigkeit der Einzeltätigkeit. In gleicher Weise kann etwas hin- 
gegeben werden für einen zukünftigen Zweck, so daß der zukünftige Zweck mit dem Hingegebenen 
in wirtschaftlichem Zusammenhange steht, ohne die dingliche Wirkung der Eigentumsübertragung 
in Frage zu stellen: wenn ich jemandem Vermögensstücke in der sicheren Erwartung übertrage, 
daß er Bürgermeister wird, damit er sie in dieser Eigenschaft gebrauche, so ist der Eigentums- 
übergang vom Bürgermeisteramt unabhängig; wird der Beschenkte aber nicht Bürgermeister, 
so besitzt er das Gegebene zu Unrecht und hat darum das Eigentum zurückzuübertragen. Ein 
besonderer Fall liegt dann vor, wenn eine Hingabe kraft eines nichtigen oder unwirksamen Ge- 
schäfts stattfindet: auch hier ist das Gegebene in einem Zusammenhange gegeben, den die Par- 
teien voraussetzen, der aber gebricht. Aber nicht nur dingliche, sondern auch schuldrechtliche 
Zuwendungen gehören hierher: ein Hauptfall ist der Vergleichabschluß, der angegriffen 
werden kann, wenn er unter unrichtiger Voraussetzung erfolgte, 3 7792. 
Eine weitere Selbstkorrektur bietet die Rechtsordnung 4. im Kampf gegen das 
Unrecht. Die Rechtsordnung geht davon aus, daß ein Schadensersatzanspruch gegen den, 
der in fremdes Vermögen eingegriffen hat, regelmäßig nur im Falle ethischen Verschuldens 
stattfindet; dieses führt, wenn das ethische Verschulden fehlt, zur Ungerechtigkeit, wenn sich der 
Täter ohne solches Verschulden zuungunsten fremden Vermögens bereichert hat. Auch in diesem 
Falle besteht ein Anspruch auf Ausgleichung. Dabei muß aber die Gerechtigkeit alle Umstände 
berücksichtigen. Kauft jemand eine fremde Sache in gutem Glauben, ohne Eigentümer zu werden, 
und benutzt er sie, so erwirbt er die Früchte zu eigen; trotzdem eine andere Person Eigentümer 
ist, braucht er die Nutzungen und die regelmäßigen (d. h. ordnungsmäßig bezogenen) Früchte nicht 
zu ersetzen; er hat es nur zu tun, wenn er die fremde Sache unentgeltlich erworben hat oder ohne 
Titel besitzt (§§ 988, 993, 2020 BGB.). Man berücksichtigt eben hierbei die ungünstige Stellung 
dessen, der eine fremde Sache um einen Gegenwert erworben hat und sie herausgeben muß, 
und B. sie ersessen hat: die Ersitzung legitimiert den Empfänger gegen den Eigentümer, tilgt aber 
nicht die Kondiktion aus dem nichtigen Geschäft. Dies ist gar nichts Neues und Eigentümliches, 
wie Oertmann, Recht XIV S. 586 annimmt. 
Man denke sich den Fall, daß Anliegerbeiträge bezahlt werden, um ein Bauverbot zu über- 
winden, während ein Bauverbot gar nicht bestand, RG. 27. Februar 1912 Entsch. 78 S. 427. 
:„ Z. B. zwei Personen vergleichen sich über den Inhalt eines Testaments, das sie für gültig 
halten, das sich aber nachträglich als ungültig erweist, Lehrbuch 1 S. 573, Hedemann, Ver- 
Weicheirrtum (1903), Rietsch, Der besondere Voraussetzungstatbestand beim Vergleich (1906) 
S.
	        
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