134 J. Kohler.
sie stehen innerhalb des Rechts, dürfen aber gleichfalls nicht die Schranken des gesellschaftlichen
Lebens überschreiten 1. So verhält es sich mit der Benutzung der dem Gemeingebrauch anheim—
gestellten Sachen usw. .
Wer in Fällen 1—5 geschädigt wird, kann Aufhören der Anstandswidrigkeit? und Schaden-
ersatz verlangen. Sein Verlangen geht aus dem Persönlichkcitsrecht hervor; denn dieses gibt
Ansprüche wegen Verletzungen des Anstands, den die Persönlichkeit verlangen kann.
8 90. Die unerlaubte Handlung setzt eine ethische Willensschuld voraus, ent-
weder Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Ausgeschlossen ist sie, wenn die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen
ist, namentlich bei Notwehr und Notstand (auch bei dem zivilrechtlichen Notstand des § 904;
vgl. im übrigen § 227 f. 5.
In wenigen Fällen findet eine Haftung statt auch ohne Verschulden, eine Haftung bis
zur sog. höheren Gewalt. Dies gilt insbesondere vom Betrieb von Eisenbahnen, sofern
dadurch ein Mensch getötet oder verletzt wird: die Eisenbahnen haften, wenn nicht höhere Ge-
walt oder eigenes Verschulden vorliegt“; so das Gesetz vom 7. Juni 1871. Einer solchen
Haftung bis zur höheren Gewalt unterliegen in Vertragsverhältnissen die Wirte für das, was
die Gäste eingebracht haben, §/ 701, und unterliegen auch die Eisenbahnen bezüglich der über-
nommenen Transporte, nicht aber die übrigen Frachtführer, denn diese haften nur für Ver-
schuldung (5s 429, 606 BGB.) 5. Die höhere Gewalt verlangt eine Einwirkung von außen,
die so stark ist, daß selbst eine spezielle Vorsicht sie nicht zu beschwören vermöchte. Der
Haftende hat diese höhere Gewalt darzulegen und in ihren Einzelheiten nachzuweisen.
Das ethische Verschulden setzt Verantwortlichkeit voraus; nicht verantwortlich ist der Mensch
bis zu sieben Jahren, zweifelhaft und je nach der individuellen Reife zu entscheiden ist die Ver-
antwortlichkeit von sieben bis achtzehn Jahren, nicht verantwortlich ist der Mensch in Bewußt-
losigkeit oder in willensunfreier Geistesgestörtheit (IS§# 827, 828 B #.). Ausnahmsweise, aus
Gründen der Billigkeit, wird ein nicht Verantwortlicher ganz oder teilweise für schadenersatz-
pflichtig erklärt, wenn dies nach den Umständen des Falles als gerechtfertigte Schadensverteilung
erscheint (§ 829) — also auch, wenn der Mensch nur in animalischer Weise gehandelt hat: er
haftet für sein animalisches Tun, wenn er mit bedeutenderem Vermögen ausgestaltet ist, das
ihm erlaubt, ohne Schmälerung seines Unterhalts die schädigenden Folgen seines Tuns auszu-
gleichen, §5 829 BGB. .
1 Hiergegen ging man schon in alten Zeiten vor, z. B. Statuten Padua 1236 Nr. 833:
si qduis . molinario interdixerit ne molat neu masinet illi persone Solidos 100 pro banno
componat; so in deutschen Reichsgesetzen: Reform. guter Polizei 1548 8 18 (Monopolia und schäd-
liche Fürkäuf betreffend). Aus neuerer Zeit vgl. Obergericht Thurgau 29. November 1892 Z. f.
Schweizer Recht, Revuc XI S. 25. Sodann die Entscheidungen über die schwarzen Listen, namentlich
RG. 29. Mai 1902 Recht VI. S. 395. Dagegen hat neuerdings das R. angenommen, daß Ver-
träge, nicht an einen Deutschen zu verkaufen und dgl., nicht außerhalb des Erlaubten liegen, R.
25. November 1911 Entsch. 77 S. 419. Uber die Haftung für die zum Boykott herausfordernden
Druckschriften R. 13. Februar 1911 Entsch. 76 S. 35. Weitere Entscheidungen bei Dick, Arch.
f. b. R. XXXIII S. 130.
* Aus §§ 823 wie 826 geht nicht nur ein Anspruch auf Geldersatz, sondern auch auf Ablassen
der schuldhaften Tätigkeit hervor; richtig O LG. Celle 5. Mai 1902 Mugdan V S. 238. Dies
gilt auch schon aus den oben S. 85 angeführten Gründen. Vgl. auch S. 133 Note 2.
* Wenn hier eine Entschädigung vorgesehen wird, so hat sic einen anderen Charakter; vgl.
Lehrbuch 1 S. 207 f., 220 f., 227 f., Baumgarten, Notstand und Notwehr (1911) S. 56,
Chiron i, stato di necessità (1905) p. 131 f.
Vorausgesetzt ist, daß der Schaden durch den Betrieb oder eine damit im Zusammenhang
stehende Betätigung erfolgt ist, RG. 9. Januar 1902 Entsch. 50 S. 92.
5 Die gesteigerte Haftung, die die Römer aus den Verhältnissen der Osterienwirte ableiteten,
wurde im Mittelalter auf die Gastwirtschaft überhaupt übertragen; vgl. z. B. Como'1216 a. 276
(Non. hist. patr. XVI p. 101). Ein Schlafwagen aber ist kein Hotel! Vgl. Kassationshof Paris
3. Februar 1896 Sire y 96 Ip. 165, OLG. Köln 17. Januar 1907. Früher ließ man auch die
Frachtführer in gesteigertem Maße haften; dies entspricht den Bedürfnissen des Lebens und
der praktischen Gestaltung des Rechts, da der Nachweis des Verschuldens recht schwierig ist; so
auch das englische Recht bezüglich des common carrier. Die Anderung des neuen HG#., welches
die Haftung auf bloßes Verschulden herabgedrückt hat, ist eine sehr unglückliche. Für die Eisenbahn
besteht (wie oben bemerkt) das alte System weiter infolge völkerrechtlicher Vereinbarungen (* 456
HGB. und Berner Konvention 14. Oktober 1890 Art. 30).
* Lehrbuch II S. 490, Schwartz, Das Billigkeitsurteil des § 829 (1904) S. 10. Schon