138 J. Kohler.
unter Mitwirkung des Standesbeamten. Diese Mitwirkung hat aber nicht bloß die Bedeutung,
daß der Standesbeamte für die Form der Ehe tätig sein muß, sondern daß er auch zu prüfen hat,
ob der Ehe keinerlei Hindernis im Wege steht, weshalb das Publikum durch Aufgebot noch be—
sonders auf die bevorstehende Eheschließung aufmerksam gemacht werden soll. In dieser und
manchen anderen Beziehungen besteht das Personenstandsgesetz vom 6. Februar 1875 weiter
(PStG. 88 44 48). Der Standesbeamte haftet für die Prüfung disziplinär, ja unter Umständen
selbst strafrechtlich (ß 69 PStG. und 8 338 StGB.). Lehnt er eine Eheschließung ab, so ent-
scheidet das Amtsgericht, vorbehaltlich der Beschwerde (§X 11 PSt., §§ 186, 69, 19 Gs.).
§ 93. Besser als viele andere Gesetze hat das BGB. den Unterschied zwischen einer Nicht-
ehe und einer nichtigen Ehe herausgebildet. Fehlt es an der in 8 1317 des BGB . bestimmten
Form, ist also kein Standesbeamter anwesend, auch nicht ein Quasi-Standesbeamter im Sinne
des § 13192, oder haben die beiden Teile nicht persönlich bei gleichzeitiger Anwesenheit ihren
Ehewillen ausgesprochen, oder hat der Standesbeamte die Erklärung zurückgewiesen, so ist
keine Ehe vorhanden. Jedoch gilt dies nur unter Vorbehalt; denn wenn trotzdem ein Eintrag
ins Heiratsregister stattgefunden hat, dann ist das juristische Nichts zu einer bestimmten Wesen-
heit vorgeschritten: die Nichtehe ist zu einer nichtigen Ehe geworden.
Der Unterschied zwischen Nichtehe und nichtiger Ehe ist wichtig. Eine Nichtehe kann
niemals als sog. Putativehe gelten, während die nichtige Ehe dann eine Putativehe ist, wenn
wenigstens der eine Ehegatte in gutem Glauben war (§ 1699 BG#B.) 3; die Folge der Putativ-
ehe ist, daß die Kinder eheliche Kinder sind und gegenüber den Ehegatten und der Familie alle
Rechte der ehelichen Kindern haben, während die Rechte der Eltern gegen sie teilweise davon ab-
hängen, ob der Elternteil in gutem oder bösem Glauben war. Außerdem gilt der Satz, daß eine
nichtige Ehe Dritten gegenüber gewisse Rechtsfolgen zeitigt: hat ein Rechtsverkehr oder Prozeß-=
verkehr mit einem Dritten stattgefunden, dann ist die nichtige Ehe, was Recht und Prozeß betrifft,
diesem Dritten gegenüber wirksam, sofern er in gutem Glauben gehandelt hat: also beispiels-
weise wenn der Ehemann Rechtsgeschäfte in bezug auf das eingebrachte Vermögen der Frau
oder das Gesamtvermögen eingegangen hat, welche eigentlich nach Maßgabe der Nichtigkeit der
Ehe unwirksam sind, weil es bei der nichtigen Ehe an einem Nutzuießungs= und Verwaltungs-
recht des Ehemannes oder einem Gesamtvermögen fehlt (§ 1344). Diese Folgen treten ein, wenn
der Dritte es so haben will (doppelte Rechtsordnung). Auch noch andere, teils zivilrechtliche, teile
prozessualische Unterschiede bestehen zwischen der nichtigen und nichtexistierenden Ehe 4). Ius-
besondere gilt folgendes: Ist eine Nichtehe ins Heiratsregister eingetragen und damit zur nichtigen
Ehe geworden, dann kann sie geheilt werden; sie wird geheilt durch ein Zusammenleben von
zehn Jahren, und wenn ein Ehegatte vorher gestorben ist, so genügt sogar ein dreijähriges Zu-
sammenleben (§ 1324 BGB.).
Uber die sonstigen Vermögensfolgen der nichtigen Ehe vgl. § 1345 BGB. Hiernach
und auch aus anderen Gründen ist es bedeutsam, daß auch eine geschiedene Ehe für nichtig
erklärt werden kann 5).
Nichtigkeit der Ehe liegt vor, wenn bei ihrer Abschließung ein Teil geschäftsunfähig
war oder sich in einem das Bewußtsein aufhebenden Zustande befand, oder wenn gegen die
eherechtlichen Dekrete (1908). Die Benedictio nuptialis hat sich vor dem Trienter Konzil in Italien
hnur wenig durchgesetzt, stärker in Frankreich; vgl. Salvioli, Arch. giurid. 53 p. 173, und
über die Coutume von Poitou vgl. meine Besprechung in Z. f. Volkskunde 1914 S. 99.
: Vgl. Menge, Acch. f. ziv. Praxis 102 S. 460.
: Ein als Standesbeamter öffentlich fungierender Mann steht, solange nicht von Staats
halber dagegen eingeschritten wird, einem Standesbeamten gleich, nach den allgemeinen Regeln
des Beamtenrechts, § 1319. Vgl. meinen Aufsatz Berliner Tagebl. 1914 Nr. 203.
* Maßgebend ist für den guten Glauben lediglich der Moment der Eheschließung, nicht die
spätere Zeit; vgl. Horn, Rechtsstellung der Putativkinder (1912) S. 42. Ubrigens ist das ganze
Erfordernis des guten Glaubens, wo es auf die Stellung der Kinder ankommt, ohne jede Ratio.
Richtig das Schweizer GB. S. 133 und der ungarische Entwurf §& 91: ehelich ist hiernach das
Kind, wenn auch die Ehe nichtig oder infolge einer Anfechtung ungültig ist. Vgl. unten S. 161.
Auch bei einer nichtigen Ehe hat der Ehegatte das Zeugnisverweigerungsrecht, RG. 12. Fe-
bruar 1907 Goltd. Arch. 54 S. 294, nicht aber bei einer Nichtehe.
* Die Anfechtung einer geschiedenen Ehe ist allerdings nur ausnahmsweise möglich, § 1338
BeB. Vgl. auch Mitteis, Zwei Fragen aus dem bürgerlichen Recht (1905) S. 4f.