Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Zweiter Band. (2)

142 J. Kohler. 
motivierte Lösung Strafen feststellte. Das ist durch den Einfluß der Kirche anders geworden. 
Zuerst trat die Idee in Kraft, daß die Ehe gar nicht lösbar sei, und sodann ließ man allmählich 
seit der protestantischen Zeit Lösungen aus bestimmten Gründen zu, vor allem wegen Ehe— 
bruchs, vielfach auch wegen böswilligen Verlassens, endlich auch wegen Sävitien, d. h. schwerer 
persönlicher Unbill; in allen Fällen aber so, daß die Lösung nicht durch bloße Kündigungs— 
erklärung des Ehegatten erfolgen darf, sondern durch Klage, welche zu einem Feststellungsurteil 
führt: diese Klage bringt, wenn durch Feststellungsurteil bestätigt, von selbst die Lösung mit sich, 
8 15641. Manche Gesetze machten daneben den Versuch, eine Lösung auch durch gemeinsame 
lbereinstimmung beider Ehegatten zu ermöglichen, so der Code Napolbon; die Nachfolgezeit 
hat leider diese Ehescheidungsweise, bei welcher es gilt, eine längere Probezeit hindurch den Ehe- 
scheidungswillen zu bewähren, nicht weiter ausgebaut 2. 
Eine andere Frage ist, ob eine Lösung nicht auch wegen schwerer Erkrankung 
oder Geisteszerrüttung verlangt werden könne. Dies ist aber nur in ganz besonderen 
Fällen zu befürworten; denn die Ehe soll eine gegenseitige Hingabe sein auch für Zeiten des 
Unglücks und auch für Zeiten des allerschwersten persönlichen Unheils, der Krankheit und des 
Geisteszerfalls. Wo immer die Verhältnisse so angetan sind, daß der eine Ehegatte dem anderen 
noch helfen und Segen und Trost bieten kann, ist die Lösung der Ehe eine Grausamkeit und dem 
Wesen des Eheinstituts vollkommen widersprechend; und wenn man hiergegen praktische Gründe 
angeführt hat, wie z. B. Interessen des Geschäfts, so muß bemerkt werden, daß der Mensch nicht 
bloß wegen der Wirtschaft auf der Erde ist. Nur wenn die Geisteszerrüttung einen solchen Grad 
erreicht hat, daß ein unheilbares Ergriffensein von der Krankheit den Zusammenhang zwischen 
den Ehegatten völlig abschneidet, so daß der Kranke eine geistige Gemeinschaft nimmer erfassen 
kann, nur dann ist eine Ehelösung innerlich gerechtfertigt. 
Das Be#s. geht von dem Standpunkte aus, daß die Ehe regelmäßig nur dann zu lösen 
ist, wenn von seiten eines Ehegatten eine schwere Schuld vorliegt, welche eine so vollständige 
Trennung des Gemütslebens und eine so überwiegende Entzweiung der Personen bewirkt, 
daß der Fortbestand der Ehe mit den Erfordernissen der ehelichen Gemeinschaft in Widerspruch 
stünde: dann und nur dann soll eine Lösung stattfinden. So nimmt denn das BG die Lösungs- 
möglichkeit an im Falle des Ehebruchss, im Falle der bös lich en Verlassung und 
in allen den Fällen, wo eine so schwere Unbill vorliegt, daß ein Zusammenleben nur noch 
außerlich wäre und der Gemütszusammenhang für immer abgeschnitten erscheint. Dieser letztere 
Lösungsgrund ist derjenige, der eine Fortbildung zuläßt, und der es ermöglicht, daß Gesetzgeber 
und Richter sich der fortschreitenden Verfeinerung des Gemütszustandes der Menschen anpassen; 
denn in Zeiten einer gewissen Derbheit kann vieles hingehen, was ein gebildetes, empfindendes 
Gemüt nicht mehr ertragen kann; insbesondere kann auch das sittliche Verhalten zur Mitwelt 
einen schweren Bruch herbeiführen, wenn ein Ehegatte irgend etwas begangen hat, was nach 
den maßgebenden ethischen Begriffen schwer gegen die Ehre und gegen die Gebote ehrbaren 
Handelns verstößt. Je sensitiver eine Bevölkerung und namentlich eine Bevölkerungsschicht ist, um 
so mehr wird hier ein Lösungsgrund oder ein Lösungsbedürfnis angenommen werden können. 
Dies will der Satz besagen: „Die Scheidung erfolgt durch Urteil“ &J 1564. Damit ist nicht 
gesagt, daß das Urteil die causa esfsiciens ist, wie Hellwig und andere angenommen haben. 
Das Gegenteil ergibt sich schon daraus: Ist die Ehescheidung nach Antrag ausgesprochen, so kann 
der Antragsteller trotzdem Berufung oder Revision einlegen, nur um die Sache wieder ins Schweben 
zu bringen und die Klage zurückzunehmen; vgl. Enzyklopädie III S. 355. 
* So wenigstens in Europa. Amerikanische Staaten, z. B. Nicaragua, Uruguay, sind noch 
viel weiter gegangen. Daß die Abweichung vom Code Napoléon eine Fehler war, darüber vgl. Fuld 
in Nord und Süd XXAI (1907) S. 219; ferner mein Werk: Recht und Persönlichkeit (1914) S. 45 
Die neuesten skandinavischen Entwürfe verfolgen den richtigen Weg. 
* Die Lösung wegen Ehebruchs hat gewisse Sonderfolgen: die Ehebruchstrafe und das Ehe- 
hindernis. Ist daher neben anderen Gründen der Ehebruch festgestellt, so muß er im Urteil als 
Grund der Ehescheidung mit angeführt werden. Dagegen hat die Judikatur angenommen, daß, 
wenn andere Gründe sicher sind, der Chebruch aber noch zweifelhaft bleibt, das Verfahren wegen 
des Ehebruchs nicht fortgesetzt zu werden braucht, RG. 7. Oktober 1911 Warneyer Ergänzung 
1911 S. 521 und 29. Mai 1911 ebenda 1911 S. 460 — mit Recht; die Hauptsache ist Scheidung, 
die beiden Sonderfolgen sind überhaupt zweifelhafter Natur. Gegen die Ehebruchsstrafen vgl. meine 
Abh. im Arch. f. ziv. Praxis 111 Nr. 319.
	        
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