Bürgerliches Recht. 181
der Dritte schlechtweg Erbe des Überlebenden sein; und zwar nicht nur in bezug auf das
Vermögen, welches dieser vom Ehegatten erlangt hat, sondern in bezug auf sein ganzes Ver—
mögen, § 2269 1. Hierbei treten aber zwei wichtige Schranken ein:
1. Die Korrespektivitätsschranke; stürzt das Testament des einen, so auch das des anderen,
§* 2270, und dies führt zu einer besonderen Form des Widerrufs: der Widerruf kann nicht in
gewöhnlicher Weise durch einseitiges Testament erfolgen, sondern er muß dem anderen Ehe-
gatten gegenüber in öffentlicher Beurkundung ausgesprochen werden, damit dieser weiß, woran
er ist, und nunmehr auch anderweit verfügen kann (§§ 2271, 2296 BGB.) 2. Schon dies ist eine
außerordentliche Belästigung; der eheliche Terrorismus treibt hier seine volle Blüte.
2. Eine zweite wichtige Folge ist: der überlebende Ehegatte, welcher das ihm Hinter-
lassene angenommen hat 5, ist gebunden, wie wenn er seinerzeit mit dem Ehegatten einen Erb-
vertrag abgeschlossen hätte #. Nur ausnahmsweise, wenn der Bedachte sich einer schweren Un-
bill (oder Unsittlichkeit) schuldig macht, kann er von seiner testamentarischen Bestimmung zurück-
treten (§§ 2271, 2294 BGB.). Außerdem kann er anfechten, sobald er in einer neuen Ehe Kinder
bekommt, ganz nach den oben für den Erbvertrag gegebenen Grundsätzen 5 durch Erklärung
an das Nachlaßgericht (§s§ 2281—2283, 2079 BGB.). Die Anfechtung bewirkt natürlich damit
auch die Wirkungslosigkeit des Testaments des verstorbenen Ehegatten, da beide Testamente
miteinander stehen und fallen (§ 2270 BGB.) 1!1 Nur unmoderne Gesetzgeber können solche
vertrackte Bestimmungen machen.
§* 132. Das Vermächtniswesen hatte im römischen Recht eine lange Entwicklung,
die nur teilweise bei uns zu verspüren ist. Insbesondere kannte es den Unterschied zwischen
dinglichen und bloß schuldrechtlichen Vermächtnissen, einen Unterschied, der das ganze
Vermächtnisrecht durchzieht und im corpus iuris in unzähligen Entscheidungen zutage tritt.
Dieser ganze Zwiespalt des Vermächtnisrechtes ist bei uns gehoben; es gibt keine dinglichen,
sondern nur noch schuldrechtliche Vermächtnisse (§ 2174 BG#.), und diese Besonderheit
ist wohl begründet in dem ganzen Charakter unseres Erbrechts und namentlich in den Haftungs-
verhältnissen des Erben. Nimmt man mit dem deutschen Rechte an, daß nur der Nachlaß den
Gläubigern haftet, dann muß der Nachlaß vor allem für die Gläubiger vorbehalten werden,
und es geht nicht an, daß Vermächtnisse ihnen einen Teil der Mktiven wegnehmen. Darum kennt
das BG#B. nur schuldrechtliche Vermächtnisse, bei welchen der Vermächtnisnehmer einen
Forderungsanspruch gegen den Erben erwirbt, und zwar in der Art, daß er hinter die Gläubiger
des Erblassers zurücktritt: namentlich im Konkurs des Nachlasses kann der Vermächtnisnehmer
erst dann etwas beanspruchen, wenn nicht nur die eigentlichen Gläubiger, sondern auch die
Träger von Schenkungsversprechungen unter Lebenden befriedigt sind (§ 226 Konk O., val.
auch §§ 1973, 1974 BGB.).
Wenn im übrigen das römische Recht Legate und Fideikommisse unterschied, so sind dies
historische Formen, deren Unterschied uns längst fremd geworden ist. Eine besondere Bedeutung
Doch kommt die andere Art mit Vor= und Nacherbschaft praktisch ungemein häufig im
sog. Berliner Testament vor. Vgl. RG. 7. Febr. 1905 Entsch. 60 S. 115, 5. Dez. 1911 JW. 41 S. 206.
* Ist der notarielle Widerruf abgesandt, aber erst nach dem Tode der Widerrufenden in den
Besitz des anderen Teils gelangt, so ist er nach § 130 doch wirksam, R. 9. März 1907 Entsch. 56
. 270.
S
Wenn er es ausschlägt, ist er frei. Wie wenn er stirbt und sein Erbe ausschlägt? Soll dann
ein von ihm errichtetes Testament in Kraft kommen? Dies ist zu bejahen; im Zweifel ist für die
Freiheit zu entscheiden. A. A. ist Kagermann, Bindung der Ehegatten (1913) S. 27. Übrigens
kann die Ungewißheit lange dauern, da bei Vermächtnissen keine Ausschlagungsfrist gilt, 5 2187.
Man sprach im gemeinen Recht von einer fictio pacti successorii.
* Vagl. RG. 16. Oktober 1911 Entsch. 77 S. 165.
6 Das Ganze zeigt die Widernatur des Instituts; vgl. OLG. Jena 12. Dezember 1901 Mug-
dan IV S. 127. Zu welchen Subtilitäten man kommt, beweist die Entscheidung RE. 14. Dezember
1911 Z. f. Rechtspfl. in Bayern VIII S. 133: wenn der überlebende Ehegatte nachträglich in neuer
Ehe Kinder bekommt, so müsse berücksichtigt werden, ob er sich diesen Fall schon bei der Errichtung
des Testaments gedacht habe, ob also hiernach die Erbverfügung als eine von unrichtigen Anschauungen
ausgehende betrachtet werden könne!! Übrigens nimmt man nach guten Treuen an, daß der Über-
lebende geringfügige Zuwendungen machen könne, welche der Korrespektivität nicht eigentlich
zuwider wären; Brütt, Arch. f. b. R. XXIX S. 392.