204 v. Unzner.
II. Seit der Einführung des BGB. hat die Landesgesetzgebung nicht gerastet. Sie hat
insbesondere vorbehaltene Rechtsmaterien weiter ausgebaut. So hat Preußen das Wasser-
recht (Ges. vom 7. April 1913), Bayern das Fischereirecht (Ges. vom 15. Aug. 1908), das
Wasserrecht (Ges. vom 23. März 1907) und das Privatpfändungsrecht (Ges. vom 6. März
1902), Sachsen das Recht der Familienanwartschaften (Ges. vom 15. Juni 1900), Württem-
berg den Leibgedingsvertrag (Ges. vom 2. Dez. 1904) geregelt. Femer ist die Haftung des
Staates für Beamte im größten Teile von Deutschland ausdrücklich anerkannt (z. B. Preußen
Ges. vom 1. August 1909), die Fürsorge-(Zwangs-herziehung in den Bundesstaaten, in denen
bisher eine Regelung fehlte, geordnet (z. B. Bayern Ges. vom 10. Mai 1902, Sachsen Ges.
vom 1. Februar 1909 und der Berufsvormundschaft der Boden geebnet worden (z. B.
Bayern Ges. vom 23. Februar 1908, Württemberg Ges. vom 6. Juni 1912, Oldenburg
Ges. vom 29. Dezember 1910). Auf dem Gebiete des Ubergangsrechts ist namentlich zu er-
wähnen, daß Baden in dem Gesetz vom 4. August 1902 gleichfalls eine Überleitung des ehe-
lichen Güterrechts unternommen hat. Diese Gesetze suchen zugleich möglichst die Rechtseinheit
herbeizuführen. Natürlich wird durch sie die Rechtseinheit nur für das Gebiet des Bundesstaats
erzielt. Aber da sie sich an das BGB. anschließen und die Fortentwicklung im modernen Geiste
erfolgt, so gelangen inhaltlich gleiche Rechtsgrundsätze doch auch auf den vorbehaltenen Rechts-
gebieten immer mehr zur allgemeinen Geltung. Dadurch wird zugleich der künftigen reichs-
rechtlichen Ordnung der betreffenden Vorbehaltsmaterie vorgearbeitet.
§ 8. #bergriffe bei dem Grenzstreit zwischen Reichs= und Landesprivatrecht.
Wie bei jedem Grenzstreit, sind auch hier Übergriffe nicht ausgeschlossen. Sie können
vom Reich nicht ausgehen, denn wenn das Reich auf einem vorbehaltenen Rechtsgebiet eine
Vorschrift trifft, wird eben damit der Vorbehalt von Reichswegen eingeschränkt. Dagegen
werden Übergriffe seitens des Landesrechts — absichtliche sind ausgeschlossen — schwer ver-
meidlich sein, da die Grenze nicht immer zweifelsfrei ist. Die Untersuchungen gerade darüber,
ob das Landesrecht die ihm zugewiesenen Schranken innegehalten hat, gehören zu den wich-
tigsten aus dem Verhältnis zwischen Reichs- und Landesrecht.
Die Anlässe zu Ubergriffen sind mannigfaltig. Die Landesgesetzgebung reiht z. B. unter
die vorbehaltene Materie Tatbestände ein, die nicht dazu gehören, oder legt den Begriff eines
Vorbehalts falsch aus 1. Oder sie irrt über den Umfang der ihr übertragenen Gewalt; der-
artige Kompetenzüberschreitungen werden einer Reihe von Ausführungsgesetzen in Ansehung
der Uberleitung des Güterrechts vorgeworfen 2. Ob mit Recht, muß hier dahin-
gestellt bleiben.
In allen Fällen der Kompetenzüberschreitung, mag Anlaß und Inhalt sein, welcher es
wolle, untersteht das judicium finium regundorum den Gerichten. Gewiß ist auch eine
staatsrechtliche Hilfe nicht ausgeschlossen. Der Bundesrat kann, da die vom Reich gewähr-
leisteten Rechte in Frage stehen, auf eine entsprechende Anderung durch die Landesgesetz-
gebung selbst hinwirken, er kann auch in geeigneten Fällen auf Anrufen anderer Gliedstaaten,
wenn die Rechte ihrer Angehörigen durch Übergriffe verletzt werden, auf Grund des Art. 76
der NV. einschreiten. Indes, dieser Apparat wäre nur für außergewöhnliche Fälle geeignet.
Die Gerichte, insbesondere das Reichsgericht in letzter Instanz, haben in die Schranken zu treten.
Sie prüfen und entscheiden über die Gültigkeit der Vorschrift und können durch kein Landes-
gesetz dieser Prüfung enthoben oder an ihr gehindert werden.
1 Beispiele: Im Rahmen des Art. 115 E. dürfen Landesgesetze den Inhalt und
das Masß von Dienstbarkeiten und Reallasten näher bestimmen, nicht aber anders-
artige begründen. Der Art. 96 EG. (Leibgeding) erlaubt nur dispositive Vorschriften (vgl.
RG. 54, 110); ebenso der Art. 18 EcG. z. HGB. (Bierlieferungsverträge).
* Vgl. Kahn: Abhandlungen aus dem Internat. Privatrecht in Iherings Jahrb.
1901, S. 309 ff.; und unten §. 12 Nr. 3.