Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Zweiter Band. (2)

Verhältnis des Reichsprivatrechts zum Landesprivatrecht. 206 
Zweites Kapitel. 
Einige allgemeine Lehren von den Rechtsnormen des 
Landesprivatrechts. 
Den Gegenstand dieses Kapitels können selbstverständlich nicht alle allgemeinen Lehren 
über Wesen, Bildung, Arten, Anwendung, Geltungsgebiet des Landesrechts im ob- 
jektiven Sinne bilden; in den Kreis dieser Erörterung können sie nur zum Teil und 
nur insoweit gezogen werden, als sie für das Verhältnis von Reichsprivatrecht zum Landes- 
privatrecht in Betracht kommen bzw. Besonderheiten für das Landesprivatrecht zeigen. 
1. Die Rechtsquellen des Vorbehaltsrechts. 
§ 9. Allgemeines. 
Was Macht hat, objektives Recht zu schaffen, heißt Rechtsquelle. Diese Macht 
wechselt für Völker und Zeiten, ist auch nicht für alle Rechtszweige — das Staats-, das Straf- 
das Völker-, das Privat-, das Prozeßrecht — die gleiche. Für das Reichsprivatrecht 
werden von der herrschenden Doktrin als Rechtsquellen an erster Stelle Gesetze und Rechts- 
verordnungen, im minderen Maße Gewohnheiten, daneben, wenngleich bestritten, Gerichts- 
gebrauch und Rechtswissenschaft (beide mit Hilfe der Analogie) 1 betrachtet. Wie weit 
erweisen sich nun diese für das allgemeine bürgerliche Recht be- 
deutsamen Quellen auch für das Landesprivatrecht ergiebig 
1. Laut Art. 2 EG. 
„Gesetz im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs und dieses Gesetzes ist jede Rechtsnorm“ 
in Verbindung mit Art. 55 ist das Landesgesetz als die Quelle des Vorbehaltsrechts 
bezeichnet: das Landesgesetz in dem von Art. 2 definierten materiellen Sinne, wonach 
es jede Rechtsnorm bediutet, d. h. jede Satzung, die, abgesehen von Privilegien für 
Fälle bestimmter Art, als Regel dient und objektives Recht schafft, somit einen Rechtssatz auf- 
stellt, gleichviel, ob dieser gebietender, verbietender oder nur berechtigender Natur ist (RG. 79, 
155). Den Gegensatz bildet hier das Gesetz im formellen, technischen Sinne, d. h. diejenige 
Norm, die von den verfassungsmäßig befugten Gewalten im Wege der Gesetzgebung erlassen 
wird. Die hier für das BGB. und E. gegebene umfassende, vom Inhalte ausgehende Begriffs- 
bestimmung entspricht schon dem Standpunkte früherer Reichsgesetze (EG. zur ZPO. 8 12, zur 
KO. 532, zur Str PO. 8# 7). Hiernach ist der Inhalt entscheidend; ohne Belang aber, ob die Norm 
auf einem Gesetz im formellen Sinne beruht oder auf Verordnungen des Kaisers, der Landes- 
herren oder zuständiger Behörden, ob auf Staatsverträgen oder autonomischen Satzungen, ob 
auf geschriebenen oder ungeschriebenen Quellen. Im gleichen Sinne ist der Ausdruck Gesetz 
für das Landesprivatrecht aufzufassen, auch in denjenigen Bundesstaaten, die eine 
ausdrückliche entsprechende Vorschrift nicht erlassen haben 2. 
2. Fließen auch an sich alle obigen Rechtsquellen für das Landesprivatrecht, so hat 
doch der Einzelstaat — dies folgt aus der ihm gebliebenen Souveränität — die Entscheidung, 
1 Hier kann auf die Bedeutung von Wissenschaft und Gerichtsgebrauch als Rechtsquellen 
nicht näher eingegangen werden, weil sie im Rahmen des Landesrechts keine Eigentümlichkeit 
haben. Wer ihnen für das allgemeine Reichsprivatrecht über ihre Aufgabe hinaus, die Gedanken 
des geltenden Rechts zu entwickeln bzw. anzuwenden, rechtsschöpferischen Wert beimißt, der wird 
auch für das Rechtsleben der Einzelstaaten ihnen die gleiche Kraft vindizieren (s. auch RG. 24, 50). 
Selbst wenn sich entgegengesetzte partikuläre Vorschriften finden sollten, würden sie sich als 
machtlos erweisen. So bestimmte das preuß. ALR. Einl. § 6: „Auf die Meinungen der Rechts- 
lehrer oder ältere Aussprüche der Richter soll bei künftigen Entscheidungen keine Rücksicht ge- 
nommen werden.“ Diese Vorschrift ist aufgehoben durch das AG. Art. 89; sie war aber vor dssser 
Todeserklärung bereits längst gestorben. 
: Dahingehende Vorschristen enthält z. B. das mecklenb. AG. J1.
	        
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