Verhältnis des Reichsprivatrechts zum Landesprivatrecht. 217
§ 16. Verweisung.
A. Entstehungsgeschichte des Art. 4 EG.
Sitz der gesetzlichen Regelung für den Fall der Verweisung (Fall b oben & 14
a. E.) ist der Art. 4 E.:
„Soweit in Reichsgesetzen oder in Landesgesetzen auf Vorschriften verwiesen ist, welche
durch das Bürgerliche Gesetzbuch oder durch dieses Gesetz außer Kraft gesetzt werden, treten
an deren Stelle die entsprechenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder dieses Gesetzes. “
Für die Erläuterung des Art. 4 ist ein Zurückgehen auf die Materialien von Bedeutung,
weil eine ihrer Bemerkungen auf die Auslegung des Art. 4 in der bisherigen Literatur und
Rechtsprechung einen wesentlichen Einfluß geübt hat. Die Motive (CG. S. 64, 148 ff.) heben
nämlich hervor: „In Kraft bleiben diejenigen bestehenden Vorschriften, welche zwar inhaltlich
von dem bisherigen gemeinen Privatrecht nicht abweichen, nach der Absicht des betreffenden
Gesetzes aber nicht lediglich die Bedeutung einer erläuternden Wiederholung des ius commune
haben, sondern einen Bestandteil des Spezialrechts bilden sollen.“ Hier liege keine Ver-
weisung im Sinne des Art. 4 vor. In den Protokollen (S. 9186) wird der gleiche Gedanke in
folgendem Gegensatz wiederholt: „Wenn — im Landesgesetz bei einer Vorbehaltsmaterie —
auf das allgemeine Recht nur verwiesen ist in dem Sinne, daß es als solches, nicht als
eine Besonderheit des betreffenden Gesetzes, zur Anwendung kommen soll, tritt das
B#B. an die Stelle; wenn das Landesgesetz eine dem allgemeinen Recht entnommene be-
sondere Bestimmung enthält, ist es eine Auslegungsfrage, ob die Bestimmung unter allen
Umständen oder nur, weil sie allgemeines Recht ist, gelten soll, in welch letzterem Falle sie
durch das BGB. ersetzt wird.“ Um diese Auffassung zu verdeutlichen, war in der Komm. II
folgender Zusatz zu Art. 4 beantragt worden:
„Für ein in Kraft bleibendes Landesgesetz gilt dies nur insoweit, als nicht aus dem Gesetze
sich ein anderes ergibt.“
Die Kommission billigte den Zusatz und überwies ihn wegen seiner redaktionellen Natur
an die Redaktionskommission. Diese hat den Art. 4 ohne den Zusatz wieder vorgelegt. Daraus
ist aber nicht zu folgerm, wie dies Weißler (Pr. Landespriv. S. IV) tut, daß nun das Gegenteil
gilt. Grund und Zweck des Art. 4 sprechen vielmehr für die Richtigkeit der obigen Auffassung.
Auch die Literatur hat diesen Gegensatz zumeist als richtig angenommen 1. Sie unterscheidet
die echte (bloße) Verweisung, auf die Art. 4 sich bezieht, und die unechte. In letzterem
Falle liegt nämlich in Wirklichkeit keine bloße Verweisung, sondern eine inhaltliche Aufnahme
der in Bezug genommenen Vorschrift in das Gesetz als Bestandteil des betreffenden Spezial-
rechts vor 2.
Der obige Gegensatz — ob eine Bestimmung nur allgemeines Recht oder Bestandteil des
Spezialrechts — bezieht sich, ebenso wie die Außerung der Motive und Protokolle, zunächst
auf Art. 4 und die Verweisung; er hat aber sachlich eine hierüber hinausgreifende Bedeutung
und gehört auch zu den im § 19 sowie in minderem Maße zu den im § 15 behandelten Fragen.
1 So Niedner Art. 4 Anm. 3, Planck Art. 4 Anm. 2, Dernburg II 2, Stranz-
Gerhard Einl. S. 26. Dagegen verwirft Zitelmann t(a. a. O. S. 38 ff.) diese Unter-
scheidung; sei einmal festgestellt, daß der landesrechtliche Satz ein allgemeiner war, so müsse er
auch unter allen Umständen durch Art. 55 als beseitigt gelten. Indes der Gesetzgeber kann die
Geltung einer allgemeinen Vorschrift für ein Sonderrechtsgebiet aus besonderen, diesem spezielen
Verhältnis angehörenden Gründen wollen, welche zutreffen würden, selbst wenn die Gründe
ihre allgemeine Geltung etwa nicht stichhaltig wären. Er würde sie mithin als Sondervorschrift
sogar dann eingeführt haben, wenn sie nicht allgemeines Recht wäre. Dieses von Zitelmann
selbst hervorgehobene Argument schlägt ihn, zumal jene Erwägungen in retrospektiver Betrachtung
auch als letztes Motiv des Gesetzgebongsaltes erkannt werden können. Übrigens kann Zitel-
mann seinen Standpunkt nicht konsequent festhalten (s. z. B. S. 61 Ziff. 4).
„ Dem Art. 4 ähnliche Lorschriften kennen noch: EG. z. RStr G. 3, EcG. z. HGB. Art. 3;
preuß. NG. Art. 87; bad. AG. Art. 3.