Internationales Privat-, Stras= und Verwaltungsrecht usw. 227
Territorialgesetzgebungen, welche zur möglichsten Wahrung der Souveränitätsrechte tunlichst
viele Rechtsverhältnisse jede unter ihre besondere Herrschaft zu ziehen bemüht sein möchten,
während doch in der weitaus größeren Mehrzahl der Fälle eine genauere Untersuchung ergibt,
daß die Gesetzgebungen der verschiedenen in Betracht kommenden Länder übereinstim-
mend nur einer von ihnen das fragliche Verhältnis zur Entscheidung überweisen. Da
nun der Ausdruck „Lehre von dem räumlichen Herrschaftsgebiete der Rechtsnormen“ nicht
wohl als ein leicht verständlicher bezeichnet werden kann, zugleich aber eine Bearbeitung unserer
Materie lediglich aus privatrechtlichem Gesichtspunkte unzureichend erscheint, weil eben nicht
unwichtige Erwägungen über die Grenzen des Souveränitätsrechts der einzelnen Staaten
nach den Normen des Völkerrechts eingreifen, so empfiehlt sich der Name „internationales
Privatrecht“, wohl zu unterscheiden freilich von dem Völkerrechte, welches nicht die Privat-
rechtsverhältnisse der einzelnen Angehörigen verschiedener Staaten, sondern die Beziehungen
der Staatsgesamtheiten zueinander zum Gegenstande hat. Allerdings wird nicht selten auch
in Werken, welche das Privat= bzw. das Zivilprozeßrecht der einzelnen Staaten behandeln,
das internationale Zivil= und Zivilprozeßrecht erörtert. Aber die abgesonderte Behandlung
empfiehlt sich deshalb in wissenschaftlicher Beziehung, weil, wenn auch aus der Natur der
Rechtsnormen der Einzelstaaten die Entscheidungen der hier fraglichen Fälle wesentlich mit
abzuleiten sind, doch dabei, wie bemerkt, auch allgemeine völkerrechtliche Normen zu beachten
sind, welche auf dem communis consensus der Völker beruhen, und denen kein Volk, das mit
dem anderen in einem geordneten und friedlichen Verkehr stehen will, sich willkürlich zu ent-
ziehen vermag.
Voraussetzung eines wirklichen Systems des internationalen Privatrechts ist 1. die gegen-
seitige Anerkennung der Staaten als Ordner des Rechts für einen gewissen Komplex von
Menschen und Sachen, eine Anerkennung, bei der man notgedrungen von dem Prinzipe aus-
gehen muß, daß eine Kompetenz, die wir für unseren Staat als Ordner des Rechts in Anspruch
zu nehmen haben, im gleichen Falle auch einem anderen Staate einzuräumen ist; 2. die An-
erkennung der Rechtsfähigkeit der Ausländer auch für die Rechte, die unsere Rechtsordnung
gewährt. Sofern nun irgend ein friedlicher, rechtlich geschützter Verkehr zwischen den An-
gehörigen verschiedener Staaten besteht, fehlt es nicht an einer wenigstens teilweisen, be-
schränkten Anerkennung dieser beiden Voraussetzungen. Aber erst die prinzipielle oder doch
als Regel geltende Anerkennung ermöglicht eine konsequente und wissenschaftliche Ausbildung
des internationalen Privatrechts.
II. Geschichte des internationalen Privatrechts.
Literatur: v. Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter. Bd. 1. 1834.
Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. 2. Aufl. 1906. Karlowa, Römische Rechtsgeschichte.
Bd. 1. 1889. Lainé, lIntroduction au droit international privé. Bd. 1. Paris 1889.
Mitteis, Reichsrecht und Volksrecht in den östlichen Provinzen des römischen Kaiserreichs.
1891. Catellani, Storia del diritto internazionale privato e dei suoi recenti progressi.
Torino 1895, Teil 2. 1902. Meili, Uber das historische Debüt des internationalen Privat-
rechts, 1899. Neumeyer, Die gemeinrechtliche Entwicklung des internationalen Privat= und
Strafrechts bis Bartolus. 1. Die Geltung der Stammesrechte in Italien, 1901. Phillipson,
The international law and eustom of ancient GCreece and Rome, 2 Bde., London 1911.
§ 2. Auch im Altertum konnte es an Rechtsregeln über den Verkehr mit Aus-
ländern nicht fehlen. Es haben aber im Altertum die mannigfachsten Systeme der Behand-
lung von Ausländern und selbst der Behandlung von Inländern, die in das Ausland sich be-
gaben, in den verschiedenen Staaten geherrscht und oft in demselben Staate gewechselt, ja
hinsichtlich der Angehörigen verschiedener Staaten in einem und demselben Staate neben-
einander bestanden. So kann man im Altertum, insbesondere im griechischen Altertum, all-
gemein gültige, auch nur in den Umrissen übereinstimmende Prinzipien nicht erkennen; es
hing mehr oder weniger die Behandlung der Ausländer und des Verkehres mit ihnen von
wechselnden politischen Beziehungen und zeitweisen Bedürfnissen oder auch davon ab, ob es
sich um Angehörige eines völlig fremden Staates, oder um solche Ausländer handelte, die
man als Genossen eines größeren nationalen Ganzen betrachtete, dessen Teil auch der eigene
Staat war, wie denn in den griechischen Staaten die Unterscheidung von Griechen und Bar-
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