Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Zweiter Band. (2)

240 L. von Bar. 
Sprachgebrauch. Ebenso setzt die Beantwortung der Frage des Besitzes, des Eigentums, der 
Zugehörigkeit zu einem Vermögen bereits die Beantwortung einer Rechtsfrage voraus. Und 
gerade in Ansehung der rechtlichen Bedeutung von Handlungen, der Annahme des Besitzes, 
des Eigentums, der Zugehörigkeit zu einem Vermögen differieren die verschiedenen Territorial- 
rechte stark. Dagegen ist in rechtlicher Beziehung voraussetzungslos der faktische Aufenthalts- 
ort einer Person und ebenso der Ort einer Sache. Der Wohnsitz einer Person ist zwar kein 
reines Faktum; es können vielmehr die Gesetzgebungen über den Wohnsitz in gewissen Be- 
ziehungen differieren, und noch mehr ist dies wohl der Fall in betreff der Staatsangehörigkeit. 
Aber in einer sehr großen Anzahl von Fällen werden die Gesetzgebungen verschiedener Staaten 
in der Bestimmung des Wohnsitzes einer Person übereinstimmen, weil dabei doch das tatsäch- 
liche Moment überwiegt, und die Staatsangehörigkeit wurzelt auch im Völkerrechte, nicht nur 
im territorialen Recht eines einzelnen Staates. Anderseits kann das internationale Privat- 
recht, da es auch wesentlich dauernde Verhältnisse von Personen zu regeln hat, der Berück- 
sichtigung einer dauernden, gleichsam idealen, also rechtlichen Verbindung einer Person mit 
einem Staate (einem Territorium), nicht entraten; es muß also in gewissen Beziehungen 
anknüpfen entweder an den Wohnsitz oder an die Staatsangehörigkeit. 
Im Altertum hielt man sich, wenn es sich um die Person an sich, die Familie und das 
Erbrecht handelte, an die Eigenschaft der Person als Staatsbürger, an die Staatsangehörig- 
keit; seit dem späteren Mittelalter trat mehr und mebr das Domizil im Sinne des römischen 
Rechts an die Stelle der Staatsangehörigkeit, und die meisten Schriftsteller unterschieden in 
den Erörterungen über internationales Privatrecht Domizil und Staatsangehörigkeit gar nicht; 
höchstens kam letztere insofern in Betracht, als gewisse Abgaben nur von Eingewanderten er- 
hoben wurden. Erst seit der ersten französischen Revolution, da wieder die Rede war von 
politischen Rechten der Staatsangehörigen, Rechten, die man Fremden nicht zugestehen konnte, 
die nicht fester als durch Wohnsitz dem Lande verbunden waren, trat die Unterscheidung wieder 
deutlicher hervor, und der Code civil wie das österreichische Gesetzbuch von 1811 lassen schon 
bestimmt das sogenannte persönliche Recht der Franzosen und bzw. der Osterreicher im Aus- 
lande von der Eigenschaft eines Franzosen, eines Osterreichers abhängen. Auf dem europäischen 
Kontinente haben dann das Prinzip, das sogenannte persönliche Recht der Ausländer wie der 
Inländer von der Staatsangehörigkeit abhängen zu lassen, eine große Anzahl bedeutender Staaten 
angenommen, so Belgien, die Niederlande, das Königreich Italien und nunmehr auch das 
Deutsche Reich (vgl. z. B. Art. 7, 13, 14, 15, 17), während bis zum Inkrafttreten des Bürger- 
lichen Gesetzbuchs in den Gebieten des sogenannten gemeinen Rechts und des preußischen all- 
gemeinen Landrechts das sogenannte persönliche Recht und auch das Familien- und Erbrecht 
nach dem am Wohnsitze der Person geltenden Gesetze sich bestimmten. Das Domizilprinzip 
gilt aber z. B. noch in Dänemark und — was besonders wichtig ist — in den Ländern des 
englisch-nordamerikanischen Rechts. 
Das Domizilprinzip hat den Nachteil, daß es eine Anderung des sogenannten persön- 
lichen Rechts abhängen läßt von einem rein einseitigen, gänzlich formlosen, dem Individuum 
nicht immer zum deutlichen Bewußtsein gelangenden Vorgange — denn zuweilen wird aus 
einem anfangs nur als einstweilig vorgestellten Aufenthalte später unmerklich ein Wohnsitz —, 
und daß anderseits der Staat, in welchem der Wohnsitz genommen, nicht aber auch die Staats- 
angehörigkeit erworben wird, wie wenigstens gegenwärtig nach den Gesetzen der meisten 
Staaten der Fall ist, jeden Augenblick durch Ausweisung diesem ganzen Verhältnis einseitig 
ein Ende machen kann. Dazu kommt, daß das Familien- und Erbrecht sehr stark mit natio- 
nalen Anschauungen und Sitten verknüpft ist, die man nicht bei einer bloßen, nicht selten durch 
vorübergehende Lebenswendungen veranlaßten Verlegung des Wohnsitzes in das Ausland 
ohne weiteres ablegen oder verleugnen möchte. Für das Domizilprinzip wird von Schrift- 
stellern des englisch-amerikanischen Rechts geltend gemacht, daß das Domizil nach außen eine 
leichter erkennbare Tatsache und daher mit Rücksicht auf die Sicherheit des Verkehrs vorzuziehen 
sei. Indes ist gerade oft ein nur länger dauernder Aufenthalt von einem wirklichen Domizil 
schwer zu unterscheiden, und der Unsicherheit des Rechtsverkehrs läßt sich auf andere Weise be- 
gegnen. Solange aber in einem Staate sehr verschiedenartige Privatrechtsnormen gelten, 
hat allerdings das Staatsangehörigkeitsprinzip keinen rechten Suimm; denn innerhalb eines
	        
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