Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Zweiter Band. (2)

Internationales Privat-, Straf- und Verwaltungsrecht usw. 241 
größeren Staatsganzen mit dem gleichen Staatsbürgerrechte und voller Freizügigkeit kann 
nur das Domizilprinzip gelten; die Geltung des Staatsangehörigkeitsprinzips (neben dem 
Domizilprinzip) für die Angehörigen dieses Staates, sofern sie sich im Auslande auphalten, 
würde die Schwierigkeiten vermehren und neue Verwirrungen hervorbringen. Aus diesem 
Grunde wird das Domizilprinzip in Staaten, die einer einheitlichen nationalen Gesetzgebung 
noch entbehren, einstweilen noch den Vorzug verdienen und vermutlich aufrechterhalten werden. 
Aber auch bei Annahme des Staatsangehörigkeitsprinzips durch die Gesetzgebung ver- 
bleibt dem Wohnsitze eine Aushilfsbedeutung für den Fall, daß eine Staatsangehörigkeit der 
Person nicht festgestellt werden kann (Art. 29 d. CG. z. BGB.), und außerdem muß das Ge- 
setz des Wohnsitzes der richtigen Ansicht nach im Obligationen-, im Zivilprozeß- und Konkurs- 
rechte im weiten Umfange als maßgebend angesehen werden. Für den Fall indes, daß jemand 
seine Staatsangehörigkeit verloren hat, ohne eine andere Staatsangehörigkeit erworben zu 
haben, muß der Konsequenz nach bei Annahme des Staatsangehörigkeitsprinzips die frühere 
Staatsangehörigkeit für das persönliche Recht (auch Familien= und Erbrecht) als maßgebend 
gelten. (So auch Art. 29 des EGG. BGB.) 
Wo weder eine frühere Staatsangehörigkeit noch ein gegenwärtiger Wohnsitz festzustellen 
ist, läßt EG. BG#. Art. 29 den Ort des Aufenthalts zur Zeit des von der Person vorgenom- 
menen Rechtsaktes entscheiden. 
Die Frage, ob eine Person staatsangehörig sei, ist für jeden Richter, insofern es sich um 
die Zugehörigkeit zu dem Staate des Richters handelt, unzweifelhaft ausschließlich nach dem 
Gesetze eben dieses Staates zu beurteilen, also für den deutschen Richter nach dem deutschen 
Gesetze (nach dem Reichsgesetze vom 1. Juni 1870 über den Erwerb und Verlust der Reichs- 
und Staatsangehörigkeit, das bald [Mai 1912] durch ein neues Gesetz ersetzt werden wird) ##.e 
Das internationale Privatrecht kann einen hier etwa existierenden positiven Konflikt, wenn 
die betreffende Person etwa gleichzeitig nach dem Gesetze eines anderen Staates dessen Ange- 
höriger sein würde, nicht lösen, da es sich hier um eine der Voraussetzungen für die Anwendung 
eines Territorialrechtes handelt. Wenn aber in einer vor einem deutschen Richter anhängigen 
Streitsache darüber zu entscheiden ist, ob eine Person einem von mehreren anderen Staaten 
angehört, so muß der richtigen Ansicht nach, falls die beiden oder mehreren fremden Gesetz- 
gebungen für den fraglichen Fall im Ergebnisse übereinstimmen, dies Ergebnis auch für den 
deutschen Richter gelten, im Falle des positiven Konfliktes der betreffenden Gesetzgebungen 
aber die Person als demjenigen Staate zugehörig betrachtet werden, in welchem sie zuletzt ihren 
Wohnsitz errichtet hat (Prinzip der freien Auswanderung). 
Dieses letztere Prinzip ist, unter der Voraussetzung, daß die Person eine bestimmte 
längere Zeit (fünf Jahre ununterbrochen) in dem anderen Staate sich aufgehalten hat, auch 
angenommen in den Verträgen, welche der Norddeutsche Bund, die süddeutschen Staaten und 
Osterreich-Ungarn in den Jahren 1868—1872 mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika 
abgeschlossen haben (sog. Bancroft-LVerträge). 
Der Deutsche, der das Bürgerrecht in der nordamerikanischen Union erworben und sich 
fünf Jahre ununterbrochen dort aufgehalten hat, gilt also auch für den deutschen Richter als 
Angehöriger der Union und umgekehrt. 
Durchaus unrichtig würde es sein, für die Frage, ob eine Person einem fremden Staate 
angehöre, sofern nicht zugleich die Angehörigkeit zum Deutschen Reiche in Frage käme, die 
Vorschriften des deutschen Staatsangehörigkeitsgesetzes oder die Normen des EGG. BGB. (z. B. 
für die Frage, ob eine Legitimation stattgefunden habe, eine Ehe sei rechtsbeständig) als 
positives Recht zur Anwendung zu bringen. 
Ein mehrfaches, gleichzeitiges Untertanenverhältnis derselben Person (etwa begründet 
durch Vorbehalt des früheren Indigenats bei Ubertritt in einen Staatsverband) ist in bezug 
auf mehrere vollkommen souverän sich gegenüberstehende Staaten richtiger nicht als rechtlich 
möglich anzunehmen. Bei genauerer Untersuchung der zuweilen hierher gerechneten Fälle 
wird man finden, daß entweder hier nur vorliegt die Möglichkeit, in einfacher und formloser 
Weise in den früheren Staatsverband zurückzutreten, oder daß es sich um besondere Rechte 
(Reichsgesetz v. 22. Juli 1913. — Kohler.] 
Cnzyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Bo. II. 16
	        
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