Internationales Privat-, Straf= und Verwaltungsrecht usw. 273
IV. Internationales Strafrecht nach dem deutschen Strafgesetzbuche.
§ 55. Das gegenwärtig geltende deutsche Strafgesetzbuch, im wesentlichen hier beruhend
auf dem früheren preußischen StGB., stimmt in der internationalen Behandlung des Straf-
rechts überein mit den soeben als richtig bezeichneten Prinzipien. Mit dem Territorialitäts=
prinzip verbindet es das aktive Personalitätsprinzip, so jedoch, daß die nach dem Gesetze des
Tatorts straffreie Handlung auch im Deutschen Reiche straffrei ist, nur nicht da, wo es sich um
Verletzung besonderer Treuverpflichtung gegen das Deutsche Reich oder einen deutschen Bundes-
staat handelt, und Auslandshandlungen von Ausländern werden nur, wenn Hochverrat oder
Dienstdelikt gegen das Deutsche Reich oder einen deutschen Bundesstaat darin zu befinden ist,
als der deutschen Strafgewalt unterliegend angesehen. Eine Abweichung besteht nur, insofern
Münzverbrechen, einerlei wo oder von wem oder an welches Staates Münzen, Papiergeld usw.
begangen, (als sogenanntes Weltverbrechen) auch der deutschen Strafgewalt unterliegen.
Einige besondere Gesetze haben einige andere Fälle solcher Erstreckung der deutschen Straf-
zuständigkeit aufgestellt, so das sogenannte Sprengstoffgesetz.
Polizeidelikte (nach dem deutschen RB. „Übertretungen") werden, wenn im
Auslande begangen, allgemein nicht bestraft, vielmehr nur auf Grund besonderer Staatsverträge,
wenn sie in Grenzbezirken begangen sind.
Die Verfolgung einer im Auslande begangenen Straftat ist übrigens zuweilen
von besonderer Anordnung der obersten Justizverwaltungsstelle abhängig gemacht (nach dem
norwegischen StGB. bei Verbrechen von Ausländern sogar von Anordnung des Königs). Nach
dem deutschen StGB. ist hier, während sonst die Regel des sogenannten Legalitätsprinzips
gilt, das sogenannte Opportunitätsprinzip maßgebend, d. h. die Staatsanwaltschaft
erhebt öffentliche Klage nur, wenn sie dies mit Rücksicht auf die Lage des einzelnen Falles für
angemessen erachtet, nicht schon, wenn ihrer Ansicht nach der Beweis der Begehung der Straf-
tat gegen den Verdächtigen voraussichtlich erbracht werden kann; die Kosten und Schwierig-
keiten der Verfolgung einer im Auslande begangenen Straftat können außer Verhältnis stehen
zu ihrer Bedeutung im konkreten Falle.
Für Verbrechen, die in staatenlosen oder solchen Gebieten begangen werden, die nicht-
zivilisierten Volksstämmen gehören, bietet das aktive Personalitätsprinzip die richtige Aus-
hilfe. Freilich müßte dem Richter die Befugnis beigelegt werden, mit Rücksicht auf die ab-
weichenden tatsächlichen Verhältnisse eine dort begangene Handlung für straffrei oder für weniger
strafbar als nach dem heimatlichen Rechte des Angeklagten zu erklären. Da, wo Konsular-
gerichtsbarkeit in einem fremden Lande noch besteht, ist auch das heimatliche Gesetz des An-
geklagten mehr oder weniger maßgebend. Die internationale Behandlung der in Luftfahr-
zeugen oder von diesen aus begangenen Delikte ist mehrfach erörtert, aber noch nicht durch
gesetzliche Bestimmungen geregelt 1.
V. Einzelne wichtige Fragen.
§56. 1. Ort der Handlung. Sehr bestritten und wichtig ist die Frage, in welchem
Territorium eine Handlung als begangen anzusehen ist, wenn der zum Deliktstatbestande ge-
hörige Erfolg in einem anderen Territorium eintritt als in demjenigen, in welchem die Hand-
lung im engeren Sinne vorgenommen wurde, genauer ausgedrückt: als in demjenigen Terri-
torium, in welchem der Handelnde im Augenblick des von ihm ausgehenden, nach außen wirkenden
Willensaktes sich aufhielt (sogenanntes Distanzdelikt). Ist z. B. eine Erpressung
mittels Briefes da begangen, von wo der Brief abgesandt wurde, oder an dem Orte, wo er das
Opfer des Erpressers erreichte, oder an beiden Orten? Genau betrachtet steht nur eine be-
sondere Anwendung des aktiven Personalitäts= oder des Schutzprinzips — in dem Sinne, daß
der Staat auch alle in seinem Gebiete nur zeitweilig befindlichen Objckte strafrechtlich schützen
— — —
1 Was zum Staatsgebiete gehört, bestimmt das Völkerrecht. Das Schiff in offenem Meere
gilt als Teil des Territoriums, welchem der Heimathafen des Schiffes angehört (dessen Flagge
das Schiff rechtmäßigerweise führt). Handlungen, begangen auf Schiffen, welche das Küsten-
meer durchfahren, sind der richtigen Ansicht nach der Strafgewalt des Uferstaats nur unterworfen,
wenn sie die Sicherheit des Küstenmeeres oder des Uferstaates beeinträchtigen.
Enzyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Rd. II. 18