Aberblick über das englische Privatrecht. 289
1911; A century of Law Reform 1901; Glasson, Histoire de droit et des institutions politiques
civiles et judiciaires de FAngleterre 1882 ff., 6 Bde. Im übrigen ist auf die Literatur in F. Brun-
ner, Geschichte der englischen Rechtsquellen, 1909, zu verweisen. — Zur alten Terminologie vgl.
noch Betts Glossary of ancient words 1907.
§ 2. Das Privatrecht und seine Quellen.
1. 17799/ Das Privatrecht entwickelte sich in England unter dem Schutze der englischen
Verfassungszustände weit ruhiger als in Deutschland. Das rein germanische, nur hier und
da von kanonischen Bestimmungen beeinflußte angelsächsische Recht entspricht dem Privat-
recht der kontinentalen Volksrechte; es ist in den Gesetzen der angelsächsischen Könige unter
Zuziehung der sog. witan aufgezeichnet worden, und diese Gesetze sind teils aus den Einzelreichen
(altkentische Gesetze seit ca. 601—4, Ines von Wessex Gesetze 688—695), teils aus der Zeit
des geeinten Reichs von Alfred (871—901) bis auf Knut (1016—1035) erhalten (Ancient
Laws and Institutes of England, Rec. Com., 1840; R. Schmid, Die Gesetze der Angelsachsen,
1858 2; und die jetzt allein maßgebliche Ausgabe von F. Liebermann, Die Gesetze der
Angelsachsen (Savigny-Stiftung) 1898 ff.; Stubbs, Select charters, 1881); weitere Er-
kenntnisquellen sind die zahlreich erhaltenen Urkunden (K emble, Codex Diplomaticus
devi Saxonici, 1839—46; Birch, Cartularium Saxonicum, 1885/7) und eine Reihe von
Privatarbeiten, nach der Eroberung in Reaktion gegen das eindringende normannische Recht,
zum Teil zum Gebrauch der Kronjuristen verfaßt, insbesondere der Quadripartitus von
ca. 1115, eine lbersetzung der Knutschen Gesetze ins Lateinische Liebermann, Quad.
1892; ogl. auch Liebermann, Consiliatio Cnuti, 1893; Rosenvinge, Instituta
Cnuti, Havn. 1826), und wohl vom gleichen Verfasser die sog. Leges Henrici primi ( ieber-
mann, 1901), eine Aufzeichnung angelsächsischer Gewohnheiten, ferner die sog. Leges
Edwardi Confessoris und schließlich die gefälschten Constitutiones Cnuti de foresta (Ausgaben
sämtlich bei Liebermann). Weitere Angaben bei Brunner, Geschichte der englischen
Rechtsquellen, S. 4—19.
Das eindringende fränkisch-normannische Recht, vom angelsächsischen besonders durch
sein Lehnswesen und seine Gerichtseinrichtungen verschieden, sollte zunächst nur für die
normannischen Eroberer gelten, während den Angelsachsen ihr altes Recht verbleiben sollte.
Indessen, das Recht der Normannen als der herrschenden Klasse wog immer mehr vor, und
es bildete sich durch Verschmelzung und Fortbildung der beiden Elemente in der Hand des
Königstums unter maßgebendem Einfluß des normannischen Rechts allmählich ein neues
Recht; seither ist in England das „Recht der Großen das Recht des ganzen Volks“.
Die wichtigste Rolle spielten bei dieser Entwicklung das Königsgericht und der schnell
entstehende Juristenstand. Seit Heinrich I. (1100—1135) erscheint am Königshofe ein
Kollegium von geschäftserfahrenen Klerikern und Laien, das sich unter Heinrich II. (1154
bis 1189) zu einem ständigen Gerichtshofe berufsmäßiger Richter — an der Spitze ein capitalis
Lustitiarius Angliae — ausgewachsen hat; die Richter gewinnen in England schon früh die
Rolle der Urteiler; im Anschluß an die fränkische, durch die Nornannen nach England gebrachte
Inquisitio bildet sich das englische Geschworenenverfahren („the glory of the english law"),
das in seiner schließlichen Ausgestaltung die Rechtsfragen (matter of law) durch den Richter,
die Tatfragen (matter of fact) durch die Geschworenen entscheiden läßt. Dazu tritt die Aus-
bildung einer berufsmäßigen Anwaltschaft Brrunner, Forsch. S. 389 ff.), die bereits vor
dem Ausgange des 13. Jahrhunderts besteht: zur Zeit Edwards I. (1272—1307) erscheinen
nebeneinander der Stand der attornati, attorneys, gewerbsmäßiger Vertreter (der heutigen
solicitors) und der Stand der advocati, pleaders, der plädierenden, neben der Partei stehenden
Rechtskundigen (der heutigen barristers). Endlich werden aus den Reihen der pleaders seit
Edward I. auch die Richter entnommen, und es erscheinen demgemäß Kleriker unter den
den Richtern immer seltener. Alles dies erklärt das frühe Aufkommen einer juristischen
Behandlung des einheimischen englischen Rechtsstoffs unter Ablehnung einer (seit Lanfranc,
dem Berater Wilhelm des Eroberers, und Vacarius, ca. 1150, sich vorbereitenden, durch das
romanistische Rechtsstudium zu Oxford im 12. und 13. Jahrhundert geförderten) Rezeption
römischer und zumeist auch kanonischer Sätze. Wenn die englischen Großen #½ Merton 1236
Enzyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band II.