Bürgerliches Recht. 27
Man hat viel darüber gestritten, ob bei der Rechtshandlung die Rechtsordnung oder
das Rechtssubjekt die ursächliche Wirkungskraft ist. Der Streit beruht auf Mißverständ-
nissen: natürlich geht der ganze Begriff der Rechtshandlung davon aus daß eine bewußte
Handlung des Einzelwesens stattfindet; allein man hat hier ein Irriges angenommen, als
man daraus schließen wollte, daß der Einzelne einfach in die Fülle der Rechte ein-
zugreifen habe, um die Folgen nach seinem Belieben zu gestalten. Das ist unrichtig: Wie
es Sache des Landmanns ist, in den Boden die Gebilde einzupflanzen, und er das weitere
der Naturordnung überlassen muß, so ist es Sache des Einzelwesens bei der Rechtshandlung,
seine Tätigkeit der Rechtsordnung zu widmen: die Folgen wird er, wie der Landmann, mehr
oder minder voraussehen können, sie treten aber ein nach den Gesetzen der Rechtsordnung, ganz
ebenso, wie die Saat nach den Gesetzen der Naturordnung der Reife entgegenstrebt. Dies ist
in der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts genügend dargetan worden. Das Wesen der Rechts-
handlung kann nur darin bestehen, daß sie den Anlaß gibt zu Anderungen in der Rechtsordnung,
und zwar zu Anderungen, bei welchen noch andere Faktoren mitwirken. Sie ist ein Element der
Rechtsänderung, nichts mehr 1. «
Allerdings können sich schon aus der Naturordnung Rechtsänderungen ergeben, weil sich
das Recht nicht von dem Boden der natürlichen Gestaltung entfernen kann: es kann kein Eigentum
geben, wenn es an der Sache fehlt, die im Eigentum stehen soll; und es kann jemand dadurch,
daß er Naturänderungen vollzieht, z. B. eine Sache zerstört, mittelbar auch eine Rechtsänderung
herbeiführen. Aber solches Tun ist keine Rechtshandlung: die Rechtshandlung will etwas über diese
Naturordnung hinaus sie ist dazu da, Folgen zu erzeugen, die durch die bloße Naturordnung nicht
gegeben sind. Dieses UÜberschießende der Rechtswirkung ist daher ihr wesentliches Unterscheidungs-
zeichen 2. Außerdem verlangt aber die Rechtshandlung noch ein voluntares Element 3 — nicht
den auf die einzelnen Rechtsfolgen gerichteten Willen, wohl aber den Willen, auf die Rechtsordnung
einzuwirken oder mindestens eine auf solche Einwirkung gerichtete Außerung zu vollziehen
und sie zu vollziehen im Sinne und Geist der Rechtsordnung 4. Dadurch unterscheidet sie sich
wesentlich:
1. von der Missetat, die zwar auch Rechtsfolgen herbeiführt, z. B. Entschädigungs-
pflicht, aber als Gegenwirkung gegen eine vom Rechte gemißbilligte Tätigkeit. Solche Hand-
lungen gehören nicht dem Rechts-, sondern dem Unrechtsverkehr an.
Dadurch unterscheidet sie sich: 2. von den neutralen Handlungen, welche zwar
auch Rechtsfolgen erzeugen, aber kraft anderer Elemente als der Willenserklärung, nämlich kraft
eines Gefühls= oder Geistesaktes, bei dem die juristische Willenserklärung keine entscheidende
Rolle spielt; dahin gehört der ethische Akt der Verzeihung, dahin der Akt der Verlobung, dahin
die Menschenhilfe (als sog. Geschäftsführung), dahin die Reklamesendungen, dahin die rechts-
schöpferische Tätigkeit im Immaterialrecht (Erfindung, Schöpfung eines Kunstwerkes) ö.
Man hat nun wieder zwischen Rechtsgeschäften und Rechtshandlungen im engeren Sinne
der psychiatrisch-neurologischen Wochenschrift 1906 Nr. 35, Duisberg, Schutz der Geisteskranken
(1914) S. 60 f. Weitere Literatur und Rechtsprechung bei Simon JW. 42 S. 291. Besondere
Schwierigkeiten treten auch ein im Postverkehr; vgl. Scholz, Arch. f. b. R. XXXI S. 92f.
1 Der Rechtsfolgewille kommt nur insofern in Betracht, als er zur Charakteristik des Rechts-
geschäftes dient. Ein Irrtum über die Rechtsfolge als solche ist daher nie ein zur Anfechtung führender
Irrtum; vgl. RG. vom 9. Mai 1902 Entsch. 51 S. 281. Vgl. Lehrbuch I S. 486, Arch. f. ziv. Prax.
101 S. 372. Vgll. Henle, Irrtum über Rechtsfolgen (Festgabe f. Krüger 1911), S. 25 f., 39 f.,
und gegen ihn Binder im EAcchiv f. Rechtsphilosophie V S. 266, 414, 556, VI 96, 165, 282, 451.
* Die Rechtshandlung bewirkt Rechtsfolgen kraft ihrer logischen Natur, nicht kraft der ihr
de-hemichten alogischen Bestandteile, Lehrbuch I S. 485. Vgl. auch Klein, Rechtshandlungen
12) S. 7.
* Ein voluntares Element muß in der Willenstat enthalten sein; daß die Willenstat eine Willenstat
ohne voluntares Element sei, wie Manigk, Jahrbuch f. Dogm. 49 S. 483 von mir behauptet,
habe ich niemals angenommens; gegen derartige geradezu fundamentale Mißverständnisse muß ich
mich aufs ernsteste verwahren, insbesondere wenn mir laienhafte Außerungen Sigwarts,
über welche die Jurisprudenz längst erhaben ist, als große Wahrheiten entgegengehalten werden.
Zutreffend RE. 6. März 1908 Entsch. 68 S. 127.
* Lehrbuch I1 S. 486.
* Diese Erklärung der neutralen Handlung mit Rechtsfolgen habe ich zuerst Lehrbuch 1 S. 578f.
gegeben und damit meine frühere Lehre erweitert und berichtigt.