Einleitung.
§s 1. Wie in den Ländern der lateinischen Münzkonvention der Frank die Einheit der
Währung repräsentiert, so herrscht unter den Völkern der romanischen Rasse eine Rechts-
einheit, die sich aufbaut auf den Code Napoléon. In diesem verkörpert sich bis auf
den heutigen Tag die zivilistische Weisheit der romanischen Nationen, wenn das Gesetz auch
nur den Stamm bildet, an welchen sich in den verschiedenen Territorien eine zum Teil ab-
weichende Rechtsentwicklung angesetzt hat. Letztere hat im Detail gebessert, die Grund-
gedanken aber unverändert gelassen. Diese selbst sind überlieferte Rechtsgedanken einesteils
des französischen ancien régime: der Zeit des Königtums, da Frankreich in zwei
große Rechtsgebiete zerfiel, die südlichen des droit éerit (wo die romanische Rasse das
römische Recht in unmittelbarer praktischer Geltung erhielt) und die germanischen, mehr nörd-
lichen, in denen das Volk (nach Vergessen der alten Volksrechte und Kapitularien) lange Zeit
nur nach Gewohnheitsrecht lebte, bis schließlich diese teils lokalen, teils provinzialen.
coutumes in jahrhundertelanger Arbeit von Staats wegen aufgezeichnet und so der Nachwelt
erhalten wurden. War das Recht dieser Länder (das droit coutumier) zwar nunmehr auch
ein geschriebenes, so stand es doch dem römischen in ähnlicher Weise entgegengesetzt gegenüber,
wie die deutschen Stadt= und Landrechte dem römischen Recht. Dieses ringt mit ihnen um
die Herrschaft, und der Erfolg ist hier ein ungleicher. Je mehr nach Norden, um so geringer
ist die Einwirkung des römischen Rechts; je mehr nach Süden, um so größer wird sie; bis
schließlich die reine römische Rechtszone (wenn auch nicht auf der unverfälschten Basis des
corpus juris, sondern vielfach der leges Romanae barbarorum) beginnt.
Gegenüber diesem uralten Rechtszustande, der der Wissenschaft hauptsächlich die Aufgabe
der Uberbrückung der vorhandenen Gegensätze (durch eine Art praktischer
Rechtsschule) zuwies, vertrat das reformatorische Element nur zögernd die
staatliche Gesetzgebung in Gestalt der sog. königlichen Ordonnanzen (Louis XV: sur
les donations 1731, sur les testaments 1735, sur les substitutions 1747 etc.) und mehr noch
die Naturrechtsschule. Die Quintessenz der Jurisprudenz des ancien régime ziehen
Domat in seinem Werk: Lois civiles dans leur ordre naturel und Pothier in seinen zahl-
reichen traités über einzelne Materien des Zivilrechts und in seiner Bearbeitung der coutume
d#Orléans, die für den Code Napoléon von maßgebendem Einfluß waren.
Von größter Bedeutung endlich wurden für dieses Gesetz die Errungenschaften der großen
französischen Revolution, die (in der Gewährleistung der persönlichen Freiheit,
der Gleichheit vor dem Gesetz, Unverletzlichkeit des Eigentums, Unabhängigkeit des bürgerlichen
Rechts von dem religiösen Bekenntnisse, sowie in der Verwerfung aller feudalen Institutionen:
Lehen, Fideikommisse, Erbrenten, Erbpacht) im wesentlichen schon die Grundsätze brachte, deren
wir in Deutschland allgemein erst seit dem Jahre 1848 teilhaftig geworden sind.
Der Code Napoléon zog nur das Fazit dieser Entwicklung, unter
Einhaltung jener glücklichen Mittellinie, welche die Bürgschaft dauernden Erfolges in sich trägt.
So hat dieses Gesetz sich, wie sein Autor, die halbe Welt erobert: es ist die modernste aller
Gesetzgebungen seiner Zeit. Selbst wo seine Herrschaft (wie nach der französischen Invasion
in Deutschland) wieder aufgehoben wurde, waren die Keime, die es hinterließ, tausendfältige.
Daraus erklärt es sich, daß insbesondere auch die romanischen Völker für die eigene Gesetz-
gebung sich meist das französische Vorbild zum Muster nahmen, das schon als Kompromiß der
verschiedenen Nationalitäten auf lateinischem Boden zustande gekommen war, als solches ihren