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Bedürfnissen vorzugsweise entsprach und überdies gewissermaßen als Palladium der Freiheit
auf dem Gebiete der Zivilrechtsorganisation erschien. Italien nahm in seinem Zivilgesetzbuch
von 1865 die Grundsätze des Code Napoléon in Anpassung an die dortigen Verhältnisse an.
Ahnliches tat Spanien in seiner Kodifikation vom Jahre 1889 1, ähnliches schon früher Holland
und Rumänien, während in Belgien und Luxemburg der Code Napoléon in der Urform, wenn
auch nicht ohne Abweichungen, gilt. Letztere beziehen sich in allen diesen Staaten vorwiegend
auf das Immobiliarsachenrecht, in dem meistens das sog. Transkriptionssystem eingeführt ist;
sie liegen in der Bevorzugung eines bestimmten Güterrechtssystems für Ehegatten, nament-
lich des Dotalrechts in den südlichen Ländern, endlich liegen sie in den durch den Zeitenwechsel
allenthalben bedingten Fortschritten. Auch in Frankreich ist im Lauf von mehr als hundert
Jahren das Zivilrecht vielfach umgestaltet und modernisiert worden, nicht nur durch zahlreiche
Einzelgesetze (von denen hier nur die wichtigsten angegeben werden können), sondem insbe-
sondere durch die schöpferische Kraft der Rechtsprechung, welche in einer bei uns ungekannten
Wieise das Veraltete zu beseitigen und neuen Ideen Eingang zu verschaffen weiß. Diese Praxis,
insbesondere des Pariser Kassationshofes, wird auch in den anderen Ländem des romanischen
Rechts neben der einheimischen fortlaufend beachtet. So liegt in dem französischen Recht der
Schlüssel zum Verständnis einer Reihe anderer Auslandsrechte. Ahnlich wie früher bei uns
für die Gesetze der verschiedenen Einzelstaaten in der Wissenschaft des deutschen
Privatrechts der gemeinsame Boden gegeben war — ein Recht, das nirgends
positiv, aber (mit zugehörigen lokalen Abweichungen) tatsächlich überall in Deutschland galt
resp. zugrunde lag —, bildet der Code Napoléon und die sich daran anschließende Wissen-
schaft die gemeinsame Grundlage für die Rechte der romanischen Völker. Tat-
sächlich enthält er die kompakte Masse des ihnen gemeinschaftlichen Rechtsstoffes und beherrscht
nach Art eines neuem corpus juris ihre ganze Denkweise in Rechtssachen. In ihm liegt daher
auch der Schwerpunkt unserer Darstellung. Die neuesten offiziellen Gesetzestexte der einzelnen
Länder, welche fast alljährlich erscheinen, vermitteln im Bedürfnisfall die Kenntnis des je-
weiligen neuesten Rechtszustandes. Bei Kenntnis der Grundprinzipien macht deren Verständnis
keine Schwierigkeit. Dabei folgt unsere Darstellung im Interesse der Einfachheit derbei uns
geläufigen Form sschließt sich also im wesentlichen an das System unseres Reichsrechts
an. Inhaltlich kann sie an dieser Stelle nicht mehr sein als eine kurze Übersicht. Wer mehr will,
findet es in deutscher Sprache einzig in meinem Handbuch des französischen Zivilrechts (auf
der Grundlage von Zachariae), 8. Aufl. 1894—95, 4 Bde., zuzüglich mein er dort Bd. 1 S. 79ff.
zitierten beiden Ergänzungsschriften über die von den Romanen nicht so ausgebildeten all-
gemeinen Lehren des Rechtssystems (1892, 94). Für Italien ist in den Jahren 1906—09 eine
umfassende Übersetzung aller dieser Arbeiten erschienen 2, welche zugleich die Parallelstellen
und Abweichungen des italienischen Rechts und dessen Rechtsprechung bis auf die neueste Zeit
enthält, so daß darauf an dieser Stelle einfach verwiesen werden kann. Doch gibt es über
italienisches und spanisches Recht auch einige französische Schriften. S. u. § 2.
8 2. Bei der ausländischen Literatur berührt uns vor allem fremdartig, daß sie sich
fast ausschließlich an die Legalordnung anschließt, also im Grunde über die Kommentar-
form nicht hinauskommt. Dies stört um so mehr, als das System des Gesetzes allenthalben
ein ziemlich unvollkommenes ist. Nach einer kurzen Einleitung wird regelmäßig das Recht
der Personer (einschließlich des Familienrechts), der Sachen (mit Eigentum und Sewi-
tuten) und schließlich der Erwerbsarten des Eigentums, also gewissermaßen das
1 Doch läßt Art. 12 des Cödigo civil espaßol die Orts- und Statutarrechte (kueros),
geschriebene und ungeschriebene, bestehen. Das Gesetz hat also nur subsidiäre Geltung. Wer den
spanischen Partikularismus aus eigener Anschauung kennt, wird es begreiflich finden, daß hier
zurzeit nicht mehr zu erreichen war. An anderen Stellen hat die Rücksichtnahme auf den Klerus
das Zustandekommen eines modernen weltlichen Gesetzbuchs beeinträchtigt, so namentlich im Eherecht.
* Manuale del Diritto Civile Francese di Zach. v. L., rimaneggiato da C. Crome. Tradu-
zione con note del Prof. L. Barassi (4 Bde. 1907—1909). Dazu C. Come, Parte generale del
diritto privato franc., Trad. di Ascoli &K Cammeo (1906) und C. Crome, Teorie fondamentali
delle obbligazioni (1908) von denselben.
* Dagegen sind die zwischenzeitlichen Neucrungen des französischen Rechts von den Über-
setzern nicht aufgenommen.