Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Zweiter Band. (2)

360 Carl Crome. 
I. Allgemeiner Teil. 
1. Herrschaft der Nechtsvorschriften. 
§ 3. Was #dic romanischen Gesetzbücher in denjenigen Materien bringen, die wir heut- 
zutage im allgemeinen Teil des bürgerlichen Rechts zusammenzufassen pflegen, ist äußerst 
dürftig. Der „einleitende Titel“ des Code Napoléon und seiner Hauptnachfolger enthält im 
wesentlichen nur einige Sätze über objektives Recht, also die Vorschriften, auf welchen 
die einzelnen Rechtsbefugnisse beruhen. Da diese Vorschriften sich nicht nur auf das Zivilrecht, 
sondern auf die gesamte Rechtsordnung beziehen, erscheinen sie in dieser, vom übrigen Gesetzes- 
texte abgesonderten Form. Seitdem das neue Recht in den betreffenden Ländern in Kraft 
getreten ist, herrscht in denselben jene Geringschätzung des Gewohnheitsrechts, die 
wir in Deutschland erst in letzter Zeit überwunden haben, und die sich wesentlich auf den Um- 
stand gründet, daß die betreffenden Gesetze bestimmt waren, inden von ihnen behan- 
delten Materien völlig an Stelle des bisherigen Rechtszustandes zu treten. So kommt 
Gewohnheitsrecht und überhaupt älteres Recht im wesentlichen hier nur außerhalb 
jener Materien und da vor, wo das Gesetz selbst auf den Ortsgebrauch ufsw. ver- 
weist (s. z. B. Art. 590 ff., 593, 603, 645, 663, 671, 674, 1135, 1160, 1648, 1736, 1748, 
1753 ff., 1757 ff., 1762 CN.). Anders übrigens in Spanien (s. o. F 1). 
Was die Gesetze angeht, so erlangen diese durch die Promulgation seitens des 
Staatsoberhaupts gemeinverbindliche Kraft; und zwar von dem Augenblicke an, da in jedem 
einzelnen Gebietsteil diese Promulgation als bekannt gilt (Art. 1 CN.), oder einfach wie bei 
uns nach Ablauf einer gewissen Zeit seit Publikation des Gesetzes im Gesetzblatt. Regelmäßig 
wird auch bestimmt, daß die Gesetze keine rückwirkende Kraft haben, und daß bei 
Lücken des Gesetzes nach Analogie zu entscheiden sei (in der Form, daß sich der Richter 
auf Grund der Dunkelheit oder völligen Schweigens des Gesetzes der Entscheidung von Streitig- 
keiten nicht entziehen dürfe). Jede Entscheidung hat autoritative Kraft nur für den einzelnen 
Fall. Die moderne Trennung der Gewalten ist mit der Erlassung gemeiner Bescheide durch 
den Richter unverträglich (Art. 2, 4, 5). 
Die Privatrechtsvorschriften sind meistens dispositiv. Zwingende Kraft hat nur, was 
mit der öffentlichen Ordnung oder den guten Sitten zusammenhängt. (Art. 6.) 
Lückenhaft und dürftig (weit mehr noch als bei uns) ist dasimternationale Privat- 
recht (Art. 3 CN.). Um so ausgiebiger ist dafür die Literatur. Das einheimische Recht ist 
unbedingt anwendbar, soweit die Anwendung durch die öffen tliche Ordnung und 
Sicherheit des Staates (einschließlich der guten Sitten) gefordert wird (die sog. lois de 
police et de süreté). Im übrigen werden (nach der Statutentheorie) auf den Personenstand, 
die Rechts= und Handlungsfähigkeit der Personen grundsätzlich die Gesetze ihrer Heimat 
(Nationalitätsprinzip) 1, auf die Rechtsverhältnisse an Sachen, jedenfalls an Grundstücken, 
das Gesetz am Orte ihrer Lage (lex rei sitae) zur Anwendung gebracht. Bei beweglichen Sachen 
folgt man noch vielfach der bei uns überwundenen Theorie: mobilia ossibus inhaerent, oder 
hat sie zum Teil (wie in Italien) gesetzlich festgelegt, so daß das Heimatsgesetz des Berechtigten 
entscheidet. — Schuldverhältnisse werden vielfach nach dem Entstehungsort der Obli- 
gation, — die Familienverhältnisse nach dem Heimatsrecht der Beteiligten (s. o.) 
bzw. des Familienhauptes, — das Erbrecht hinsichtlich der inneren Erfordernisse (validité 
intrinsêque des dispositions etc.) keineswegs geschlossen dem Heimatsrechte des Verstorbenen 
(Universalsukzession), sondern in Ansehung der zu vererbenden Immobilien vielfach der lex 
rei sitae unterstellt. — Alle äußeren Geschäftsformen (kormes extrinseques des actes 
entre vifs et de dernière volonté) werden regelmäßig nach dem Recht des Ortes der Vormahme 
des Akts beurteilt (locus regit actum). Doch genügt meist auch Beobachtung desjenigen Ge- 
setzes, in dessen Bezirke das Geschäft zur Wirkung kommen soll (vgl. Art. 999 CN.). 
Val. FoeliK (Demangeat), Traité du droit internat. privé (1866), 2 B-de.; 
Brocher, (aurs de droit internat. privé (1882 ff.), 2 Bde.; Laurent, Droit civil inter- 
national (1880 ff.), 8 Bde.; Bard, Précis de dr. i.; Weiss, Traité théorique et prat. de droit 
1 S. jedoch auch Art. 13 CN. über das sog. demicile autorisé (u. § 4).
	        
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