Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Zweiter Band. (2)

Das Privatversicherungsrecht. 429 
deutig fragt (insbesondere durch einen zugleich mit dem Antragsformular vorgelegten Frage— 
bogen), ist im Zweifel (nicht notwendig; vgl. insbesondere oft die Frage nach den Eigentums— 
verhältnissen, RG. Gruchot 51, 615, 1028) erheblich. Allein die Handlungspflicht geht nicht so 
weit wie die Unterlassungspflicht. Kraft dieser muß er jede unrichtige Anzeige über erheb— 
liche Umstände vermeiden. Kraft jener dagegen muß er nur diejenigen erheblichen Umstände 
anzeigen, die ihm bekannt sind oder die zu erfahren er arglistig versäumt (z. B. durch Nicht- 
lesen eines Briefs, um nichts Ungünstiges zu erfahren). Wem infolge grober Fahrlässigkeit 
ein erheblicher Umstand unbekannt bleibt, der ist daher nicht anzeigepflichtig (anders Schweiz. 
VVG. 4); wer dagegen eine unrichtige Anzeige macht, die er fahrlässig oder schuldlos für richtig 
hält, verletzt seine Pflicht. Ist dem Versicherungsnehmer ein Fragebogen vorgelegt worden, so 
begrenzt sich seine positive Anzeigepflicht sogar auf die (ihm bekannten) Umstände, nach denen 
gefragt ist: andere Umstände braucht er nur anzuzeigen, wenn die Nichtanzeige arglistig wärc. 
Die Pflicht, Erhebliches anzuzeigen und unrichtige Angaben zu unterlassen, besteht nicht nur 
bei Einreichung des Vertrags antrags, sondern noch beim Vertragsschluß, demnach bis zur 
Annahme des Antrags. Sie entfällt, wenn der Versicherer die Unrichtigkeit oder Unvoll- 
ständigkeit der Angabe des Versicherungsnehmers kennt oder von ihr Kenntnis zu nehmen 
arglistig versäumt. 
2. Eine Verletzung der Anzeigepflicht berührt die Gültigkeit des Vertrags 
nicht. Ihre Wirkung ist verschieden, je nachdem der Versicherungsnehmer schuldhaft gehandelt 
hat oder nicht (sein Verschulden wird vermutet). 
a) Hat er die Anzeigepflicht schuldhaft verletzt, so hat der Versicherer zwar kein 
Anfechtungsrecht wegen Irrtums, wie er es nach allgemeinen Grundsätzen hätte, wohl aber 
ein Rücktrittsrecht binnen Monatsfrist seit Kenntnis von der Verletzung der Anzeige- 
pflicht. (Das Rücktrittsrecht besteht auch, wenn die verschwiegene oder unrichtig angezeigte 
Tatsache vor dem Versicherungsfall wegfällt; anders Schweiz. VVG. 8 Nr. 1.) Tritt er 
zurück, so müssen beide Teile einander die empfangenen Leistungen zurückgewähren und Geld- 
beträge von der Zeit des Empfanges an verzinsen. Nur die Prämie für die laufende Ver- 
sicherungsperiode gebührt dem Versicherer (5 40 Abs. 1 VVG.; vgl. § 811 Abs. 2 HGB.). 
War beim Rücktritt der Versicherungsfall schon eingetreten, so bleibt der Versicherer dann zur 
Leistung der Ersatzsumme verpflichtet, wenn der verschwiegene oder unrichtig angegebene Um- 
stand auf den Eintritt des Versicherungsfalls und den Umfang der Leistung ohne Einfluß 
gewesen ist; so, wenn der Lebensversicherungsnehmer eine Erkrankung verschwiegen hat, aber 
durch Absturz in den Alpen stirbt. Bei arglistiger Täuschung über Gefahrumstände (dazu 
RG. 81, 13 ff.) hat der Versicherer neben seinem Rücktrittsrecht auch das Anfechtungs- 
recht des § 123 BGB.; durch dessen Ausübung wird der Vertrag rückwirkend vernichtet, so 
daß z. B. der Versicherer auch in dem eben angeführten Fall nicht leistungspflichtig ist, anderer- 
seits kein Recht auf die Prämien der laufenden Versicherungsperiode hat. Der getäuschte 
Versicherer kann endlich auch beim Vertrage stehen bleiben und Schadensersatz nach 
* 826 BGB. verlangen (insbesondere entsprechende Prämienerhöhung). 
b) Hat der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht schuldlos verletzt (z. B. einen 
ihm bekannten Umstand deswegen nicht angezeigt, weil er ihn für erheblich weder hielt noch 
halten mußte), so hat der Versicherer weder ein Anfechtungs= noch ein Rücktrittsrecht; aber 
er hat ein Recht zur Anderung des Vertragsinhalts: er kann nämlich vom 
Beginn der laufenden Versicherungsperiode an statt der verabredeten Prämie die der höheren 
Gefahr angemessene Prämie fordern (bei der Lebensversicherung kann er umgekehrt Minde- 
rung der Versicherungssumme herbeiführen, § 162). Dieses Recht zur Anderung des Vertrags- 
inhalts ist, was im Gesetze nicht klar herwortritt, Gestaltungsrecht; das Recht auf die höhere 
Prämic ist ein verhaltener Anspruch (im Sinne Langheinekens). Ist die Gefahr so hoch, 
daß der Versicherer sie nach seinen Betriebsgrundsätzen überhaupt nicht übernimmt (z. B. weil 
in dem gegen Feuer versicherten Hause ein explosives Gewerbe betrieben wird), so kann der 
Versicherer den Vertrag mit Monatsfrist kündigen. Das Kündigungsrecht und das Recht zur 
Vertragsänderung erlöschen, wenn sie nicht in einem Monat seit Kenntuis von der Ver- 
letzung der Anzeigepflicht ausgeübt sind (§ 41 VVG.; vgl. §J 811 a HGB.).
	        
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