430 Martin Wolff.
J0) Hat der Versicherungsnehmer einen erheblichen Umstand nicht angezeigt, aber ohne
daß ihn eine Anzeigepflicht traf (weil ihm der Umstand nicht bekannt war), so hat der Versicherer
wie im vorigen Falle das Recht zur Prämienerhöhung (§ 41 Abs. 1 Satz 2 VVG.).
3. Die sog. Anzeigepflicht ist hiernach nicht Pflicht (der Versicherer hat keinen „Anspruch“
auf Anzeige), sondern Obliegenheit, Last. Das Verschulden, das bei Verletzung dieser
Obliegenheit in Frage kommt (vgl. oben 2 a), ist kein Verschulden gegen den Versicherer, sonderm
(wie im Falle des § 254 BGB.) ein Verschulden in eigenen Angelegenheiten (im Sinne Zitel-
manns). Wird der Vertrag durch Vertreter geschlossen, so muß der Versicherungsnehmer
sich das Verschulden oder die Kenntnis des Vertreters als eigene anrechnen lassen; aber auch
bei Schuldlosigkeit oder Unkenntnis des Vertreters schadet dem Vertretenen sein eigenes Ver-
schulden, seine eigene Kenntnis, wenn der Vertreter Bevollmächtigter oder Vertreter ohne
Vertretungsmacht war, nicht aber, wenn er gesetzlicher Vertreter war.
III. Streng genommen müßte jede Gefahrerhöhung nach Vertragsschluß den
Versicherer befreien, da er nur das beim Vertragsschluß bestehende Risiko übernommen hat.
Allein so weit geht das Gesetz nicht. Es gilt nur folgendes: Der Versicherungsnehmer soll
eine Gefahrerhöhung weder selbst vornehmen, noch Dritten gestatten (z. B. den Blitzableiter
am versicherten Hause weder beseitigen, noch die Beseitigung dem Mieter erlauben; vgl. RG.
73, 359 ff.). Bei Anderungen, die er vormimmt oder gestattet, ohne die Gefahrerhöhung zu
erkennen, soll er, sobald er sie erkennt, dem Versicherer unverzüglich Anzeige machen; ebenso,
wenn eine Gefahrerhöhung unabhängig von seinem Willen eintritt und er sie erfährt (z. B.
Erhöhung der Feuersgefahr dadurch, daß im Nachbarhause ein explosives Gewerbe eröffnet
wird). Bei Verletzung dieser Obliegenheiten hat der Versicherer ein Recht, die Versicherung
zu kündigen, und zwar bei Verschulden des Versicherungsnehmers fristlos, sonst mit
Monatsfrist 1; das Kündigungsrecht erlischt mit Ablauf eines Monats und mit Wiederher-
stellung des alten Zustandes. Tritt nach der schuldhaften Gefahrerhöhung, aber vor Erlöschen
des Kündigungsrechts der Versicherungsfall ein, so ist der Versicherer von der Leistung frei,
außer wenn die Gefahrerhöhung den Versicherungsfall und die Schadenshöhe nicht beeinflußt
hat. Brennt z. B. das versicherte Haus nach Beseitigung des Blitzableiters durch Brandstiftung
nieder und hatte der Versicherer zur Zeit des Brandes noch nicht gekündigt, so muß er leisten;
brennt es durch Blitzschlag ab, so braucht er nicht zu leisten. Jede Gefahrerhöhung muß der
Versicherer dann dulden, wenn er ihr zustimmt, wenn sie unerheblich ist oder wenn sie durch
das eigene Interesse des Versicherers oder durch ein Ereignis, für das er haftet, oder durch eine
höhere sittliche Pflicht („Gebot der Menschlichkeit“; Beispiel: Abweichung vom gewöhnlichen
Reiseweg zur Rettung von Menschenleben) veranlaßt ist (§s 23—29 VVG.; vgl. auch für
Transport= und Lebensversicherung §§ 142, 164 VVG.; Sceversicherung HGB. § 813, 814, 816).
IV. Eine dem Versicherungsnehmer ungünstigere Vereinbarung über Gefahranzeige
und Gefahrerhöhung ist nichtig (zulässig nur Vereinbarung der Schriftform für die Anzeigen);
5* 31 VVG. Wohl aber kann der Versicherungsnehmer allerhand Obliegenheiten zur Gefahr-
minderung oder zur Verhütung einer Gefahrerhöhung übernehmen, z. B. das Haus nächtlich
bewachen zu lassen, einen Blitzableiter anzubringen. An die Verletzung dieser Obliegenheiten
wird meist die Verwirkungsklausel gekmmüpft (vgl. unten § 14 III). Aber diese Klausel wirkt
dann nicht, wenn die Verletzung der Obliegenheit auf den ennit des Versicherungsfalls und
den Umfang der Leistung des Versicherers ohne Einfluß war (F§ 32 VVG.).
Cosack 567 ff., 604 ff.; Kohler 425 ff.; Lehmann 1049 ff.; Ehrenberg, VR.
328 ff.; Meyer, Anzeigepflicht d. Vers. Nehmers 1897; Hagen, Iherings J. 47, 193 ff.;
Josef, Mitt. öff. Feuer BA. 1913, 634 ff.; Heine, LeipzZ. 1912, 304 ff. — Hecker,
Z. Lehre v. d. rechtl. Natur d. Vers Verträge (1894) 63 ff. — Hermann v. Otavsky, Grün-
huts Z. 28, 569 ff.
§ 11. Beginn und Dauer der Bersicherung. I. Die Versiherung, als das durch den
Versicherungsvertrag begründete Rechtsverhältnis, ist, wie das Miets-, Gesellschafts-, Dienst-
verhältnis, ein auf die Dauer angelegtes Schuldverhättnis. Die Zeit
1 J24 Abs. 1 Satz 2 ist irreleitend gefaßt; er klingt, als habe (bei Schuldlosigkeit) der Ver-
sicherungsnehmer die Wahl, ob er die Kündigung erst nach Monatsablauf „gegen sich gelten lassen“
wolle oder nicht. Die Korrektur ergibt sich aus der richtigen Fassung des 5 27 Abs. 1 Satz 1.