Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Zweiter Band. (2)

Bürgerliches Recht. 41 
aut clam und die actio legis Aquiliae utilis. Dies ist eine mangelhafte Gestaltung der Sache, 
die allerdings auch im römischen Recht nicht überall durchgedrungen ist: bald hat man durch 
den sogenannten abgeleiteten Besitz nachgeholfen, durch den abgeleiteten Besitz des Provinzial- 
eigners, der in der Tat keinen wahren Besitz haben konnte, da ihm das Eigentum am Provinzial- 
boden grundsätzlich entzogen war; durch den abgeleiteten Besitz des Erbpächters und des Erbbau- 
berechtigten und vor allem durch den abgeleiteten Besitz des Faustpfandgläubigers. In anderen 
Fällen, wie beim Nießbrauch, half man sich durch die künstliche Gestaltung eines Rechtsbesitzes, 
einer possessio juris. Dieses ganze System leidet an einer unerträglichen Künstelei und ist im 
höchsten Grade unfolgerichtig und für wichtige Interessen verderblich. Es ist unbegreiflich, wie 
man hierin seit Savignys Zeiten die Höhe des Besitzesrechts hat finden können 2. Das Richtige 
liegt vielmehr darin, daß in den angeführten Fällen sowohl der Eigenbesitzer als der Fremdbesitzer, 
d. h. sowohl derjenige, der für sein Eigenrecht, als auch derjenige, der für das Eigenrecht eines 
anderen besitzt, Besitzer sind: zwei Besitzer, die Dritten gegenüber in solidarer Kraft auftreten 
und nur in Beziehung zueinander nicht als Besitzer handeln können, weil hier Besitz und Besitz 
einander gegenüberstehen und in solchem Falle nur schließlich das Recht entscheiden kann. 
Das BG#B. hat dem abgeholfen, indem es, dem germanischen Recht entsprechend, dem 
Mieter, Pächter, Verwahrer der Sache Besitz gab. Auf diese Weise kam es zu einem doppelten 
Besitz, zum Eigenbesitz und zum Fremdbesitz, zum mittelbaren und zum 
unmittelbaren Besitz (§ 868) 3. 
Es hat auch gar nichts auf sich, wenn dieses scheinbar verwickelte System in das Besitzrecht 
aufgenommen wird, denn die Verhältnisse des Lebens werden hier gewöhnlich dazu führen, 
daß der Eigen-= und Fremdbesitz in seinem wahren Charakter auch nach außen hervortritt. Ins- 
besondere, was Miete und Pacht betrifft, wird ein jeder Dritte erkennen, sowohl daß Mieter und 
Pächter auf ihrem Gebiete Herr sein wollen, als auch, daß sie nur Herr sein wollen unter vollständiger 
Anerkennung des Eigners das gleiche gilt, wenn jemand eine Sache geliehen oder eine Sache als 
Faustpfand erhalten hat, und das gleiche gilt vom Nutznießer in den Nutznießungsverhältnissen 
des Familienlebens: in der Stellung des Ehemanns und des Trägers der elterlichen Gewalt 
tritt beides schon nach außen klar genug hervor. Fraglich kann es sein, ob, wenn jemand äußerlich 
in seinem Namen, innerlich aber im Interesse eines anderen erwirbt, wie der Kommissionär, das 
Erworbene in den Eigenbesitz des Kommissionärs oder in seinen Fremdbesitz zugunsten des 
Kommittenten gelangt. Diese Frage läßt sich nicht vom individualistischen, sondern nur vom 
sozialen Standpunkte aus beantworten 4. 
8 29. Der Besitzer hat das Recht der Selbstverteidigung, der mittelbaren wie der un- 
mittelbaren, er hat auch einen klagbaren Anspruch wegen Besitzstörung und wegen Besitzentsetzung, 
861—863, 869. Nach beiden Richtungen hin ist noch folgendes zu bemerken: Die Selbst- 
S urce of legal rights as ownership is when it secures the same protection. Vgl. hierzu auch 
R. Leonhard, Ein amerikanisches Urteil über die deutsche Besitzlehre (Festschrift für Gierke). 
Uber das interdictum quod vi aut clam des Mieters und Pächters vgl. Gerstel, Ersatz 
des interd. d. v. aut clam (1902), S. 25. 
: Es ist auch nicht einmal römisch. Die Interpolationskunde hat gezeigt, daß im römischen Recht 
für den Interdiktenschutz und das Usukapionsrecht verschiedene Grundsätze galten. Darauf ist 
hier nicht einzugehen; als römisches Recht bezeichnete ich eben das Recht, wie es von Justinians Zeiten 
her als römisches Recht galt. Vgl. die lehrreichen Forschungen von Riccobono, La teoria 
Romana dei rapporti di possesso im Bullet. dell’Instituto di Diritto Romano (1911) Sep.-A. 
S. 9 f 
* Das Schweizer 8 B. sagt § 920 zutreffender: selbständiger, unselbständiger Besitz; der un- 
arische Entwurf spricht von Hauptbesitz (§ 355). Als Beispiel, wie sich der Gesetzgeber ausdrücken 
Fan, und wie er sich nicht ausdrücken soll, vgl. man a. 920 Schweizer 8GB.: „Hat ein Besitzer die 
Sache einem andern zu einem beschränkten dinglichen oder einem persönlichen Recht übertragen, 
so sind sie beide Besitzer“; und im Gegensatz dazu das BGB. F 868: „Besitzt jemand eine Sache als 
Nießbraucher, Pfandgläubiger, Pächter, Mieter, Verwahrer oder in einem ähnlichen Verhältnisse, 
vermöge dessen er einem Anderen gegenüber auf Zeit zum Besitze berechtigt oder verpflichtet ist, 
so ist auch der Andere Besitzer (mittelbarer Besitzer)“. Eine Art des Fremdbesitzes entsteht auch 
durch Belegen eines Platzes in einem öffentlichen Raum, soweit dieses Belegen dem Publikum 
freigestellt ist. Vgl. Alb. Hiua ber, Schweizer Jurist.-Zeitg. VI (1910) Heft 16. 
"* Letzteres ist bei Individualkäufen anzunehmen, ersteres bei Gattungskäufen, Z. vgl. R. 
XXVII S. 445; vgl. auch Bruns, Besitzerwerb durch Interessenvertreter (1910), S. 78.
	        
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