54 J. Kohler.
§ 38. Der abgeleitete Erwerb beweglicher Sachen wird zwar bei uns scheinbar durch
das Uübertragungs--= oder Traditionssystem beherrscht, d. h. durch das System,
wonach Eigentum und dingliches Recht nicht durch bloßen Vertrag (Einigung), sondern erst
durch die Besitzübergabe erworben werden. Dieser römische Gedanke ist aber im BG#B so sehr durch-
brochen, daß schließlich das Gegenteil herauskommt. 1. gilt, wie schon im römischen Recht, der
Grundsatz der kurzhändigen Ubertragung: ist der Erwerber bereits im unmittelbaren Besitz der
Sache, z. B. als Mieter oder Leiher, so kann die Übertragung durch bloße Einigung geschehen;
2. wenn der Eigentümer im unmittelbaren Besitze ist, so kann die Ubertragung durch Besitz-=
auftragung, constitutum posscssorium, erfolgen. Dies ist eine großartige, im deutschen
Mittelalter zur höchsten Entwicklung gelangte Rechtsfigur, die man allerdings Ende des 18.,
Anfang des 19. Jahrhunderts beinahe vergessen hatte: der besitzende Eigentümer erklärt nämlich
dem Erwerber, er wolle zwar immer noch weiter besitzen, aber nicht mehr für sich, sondern für
den Erwerber, so daß er nun unmittelbarer Fremdbesitzer und der Erwerber der mittelbare
Eigenbesitzer wird. So in den zahllosen Urkunden, wo der Eigner das Grundstück reservato
usufructu oder deducto usufructu veräußert, welcher Ususfrukt oft nur eine Woche, einen Tag
oder gar nur eine Stunde dauerte 1. Eine solche Besitzauftragung verlangt allerdings nach dem
B# ein Rechtsverhältnis, vermöge dessen der Erwerber zum mittelbaren Besitz gelangt (§ 930);
allein ein mittelbarer Besitz ist überhaupt nicht ohne ein solches Rechtsverhältnis möglich 2, und
daß das Rechtsverhältnis gültig sein soll, verlangt das Gesetz nicht und kann es nicht verlangen 3.
Daher wird insbesondere eine Besitzauftragung dann stattfinden, wenn die Parteien darüber
einig sind, daß der Veräußerer die Sache nur noch als Verwahrer weiterbesitzen soll; also in den
unzähligen Fällen, wo der Käufer sie in dem Verkaufshause mit der Bemerkung zurückläßt,
er werde sie nach einiger Zeit abholen (§ 930 BGB.). 3. Ist der Veräußerer im mittel-
baren Besitz, so wird nach dem Wortlaut des BGB. das Eigentum durch Abtretung des An-
spruchs gegen den unmittelbaren Besitzer erworben. Die Abtretung des Anspruchs ist aber nur
ein anderer Ausdruck für Einigung oder bloßen Vertrag; so wenn ich ein Pferd vermietet
habe: ich kann es verkaufen und durch bloßen Vertrag an den Käufer übertragen: in einem
solchen Falle erlangt der Erwerber Besitz und Eigentum; allerdings erst mittelbaren Besitz,
während der Mieter einstweilen unmittelbarer Besitzer bleibt. Auch ein Faustpfand kann auf diese
Weise begründet werden; aber hier muß noch die Benachrichtigung des unmittelbaren Besitzers
hinzukommen (§§ 870, 931, 1205 BGB.). Wenn aber der Eigentümer gar nicht besitzt, z. B.,
wenn ihm die Sache gestohlen wurde, so wird nach dem Wortlaut des BGB. das Eigentum
gleichfalls durch Abtretung des Anspruches übertragen; in der Tat ist dies aber nichts anderes
als eine Übertragung des Eigentums durch bloßen Vertrag (§ 931 BG.).
Nur in einer Beziehung hat der Gedanke der Abtretung des Eigentumsanspruches einen
bestimmten Sinn: ist (im Falle 3) die Sache einem Dritten für einige Zeit vermietet, so erlangt
forderlich über das Schicksal etwaiger Ausgrabungsfunde, die nicht ohne weiteres als Schatz an-
zusehen sind.
1 Vgl. darüber Zwölf Studien zum B /B. 1 S. 265 f. Wie häufig die Besitzauftragung war,
ersehen wir aus den Formeln bei Rolan dinus und bei Durantis Spec. II part. 2 de instr.
edit. § porro: licet per ususfructus retentionem intelligatur facta traditio, nihilominus tamen
me tuco nomine pro eis ad majorem cautelam constituo possidere; und: qduam rem idem T. 8se
dicti P. precario nomine constituit possidere, donec ipsius rei possessionem acceperit corporalem.
Weiter Nachweise in meiner Abhandlung in der Rhein. Zeitschr. II S. 194. Der Ausdruck constituere
in diesem Sinne findet sich schon bei Azo. Uber das Konstitut in England vgl. Bracton II 18;
über das Konstitut im indischen Recht vgl. den Fall bei Tupper, Punjab Customs III p. 216
(wo der Übertragende als Mieter weiter besitzt). Über das Schweizer Recht vgl. a. 714, 717 Schweizer
GB. Die einzige Schattenseite des Konstituts besteht darin, daß auf solche Weise Übertragungen
zum Nachteil der Gläubiger verschleiert werden. Allein in solchem Falle gilt der Grundsatz des
reputed ownership: die Gläubiger können zugreifen, wie wenn das Eigentum nicht übergegangen
wäre, so auch a. 717 Schweiz. GB.
* Richtig bemerkt auch Bruns, Besitzerwerb durch Interessenvertreter, S. 77 f., daß ein
Besitzerwerb praktisch nie abstrakt vorkommt.
* Vgl. auch Martin Wolff, Sachenrecht, S. 174. Ganz unrichtig Kreß, Besitz und
Recht (1909) S. 205.