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als müheloses Handeln aufzufassen ist, denn Arbeit soll nicht durch Rechtszwang abgepreßt
(§ 888 3PO.), der Mensch soll nicht verknechtet werden 7.
§* 56. Gewöhnlich ist es einem jeden gestattet, Verträge abzuschließen oder nicht. Doch
kann jemandem die Verpflichtung obliegen, einen Vertrag einzugehen kraft eines früheren
Vertrages, in welchem er sich hierzu anheischig gemacht hat. Der Vertrag, welcher auf solche Weise
zu weiterem Vertrag verpflichtet, heißt VWorvertrag.
Außerdem kann aber jemand auch allgemein gehalten sein, Verträge abzuschließen, in
der Art, daß, wenn er es nicht tut, er nicht nur dazu gezwungen, sondern auch wegen Verweigerung
für schadenersatzpflichtig erklärt werden kann. Das ist der Fall des sogenannten Kontra-h
hierungszwanges. Wo immer Anstalten gegründet werden, unter ausdrücklicher oder
stillschweigender staatlicher Zustimmung, um gewisse Anforderungen des Publikums in einem
bestimmten Kreise zu befriedigen, und wo dann für jedermann aus dem Publikum bestimmte
gleichmäßige Preise festgesetzt werden, darf keiner der Leistungsverlangenden hinter dem andem
benachteiligt und darf keiner zurückgewiesen werden, so lange er sich den allgemeinen Bedingungen
fügt, und solange die Einrichtung der Anstalt ausreicht, um der Nachfrage zu entsprechen. Dies
gilt von den Transportanstalten, welche speziell für die Beförderung des Publikums begründet
sind, also den Omnibussen, Eisenbahnen, Pferdebahnen; es gilt aber auch von anderen, den
Zwecken des allgemeinen Publikums bestimmten Anstalten, z. B. einer Gasanstalt, einer elek-
trischen Anstalt und ähnlichem. Auch Theater- und Konzertunternehmungen, sofern sie sich an
die Offentlichkeit und nicht etwa an eingeladene Gäste richten, sind hierher zu zählen. Wer solche
Vorteile vom Publikum hat, soll auch dem Publikum dienen. Einen anderen Fall bieten die
sogenannten Tarifverträge: hat ein Unternehmer mit Vertretern einer organisierten Arbeiter-
schaft bestimmte Tarife vereinbart, so ist von selbst anzunehmen, daß Verträge mit Mitgliedern
jenes Arbeiterverbandes nur unter diesen Bedingungen abgeschlossen werden dürfen 2.
Sonst ist im Schuldrecht das große Prinzip der Individualisation der
Menschen siegreich durchgeführt. Großenteils entspringen die Schuldverhältnisse dem mensch-
lichen Verkehr, und der menschliche Verkehr ist frei. Sie entstehen im Verkehr aus Rechts-
geschäften, vor allem aus Verträgen, und das Wesentliche des Vertrags im Schuldrecht liegt
darin, daß eine Ubereinstimmung beider Teile vorliegt über eine zwischen ihnen zu begründende
Pflichtbeziehung. Auf diese Weise wird vieles in die Willkür der Parteien gestellt: der Schuldner
bindet sich, der Gläubiger nimmt die Bindung an. Daß hierzu beide Teile mitwirken mülssen,
ist begreiflich, auch der Gläubiger; denn zu allen Zeiten ist die Persönlichkeit das höchste der
Erdengüter gewesen: daher der Satz, daß eine Verpflichtungserklärung den Schuldner nur
bindet, wenn der Gläubiger sie angenommen hat, also ein Vertrag zustande gekommen ist,
denn nicht jede übernommene Schuld würde dem Gläubiger genehm sein, § 305 BGB.
Der Vertrag verlangt also Angebot und Annahme. Dies führt aber zu folgender Schwierig-
keit 3: der Vertragsabschluß findet nicht immer Schlag auf Schlag statt: dies ist nur dann möglich,
wenn beide, sei es in persönlicher Anwesenheit, sei es durch Ferngespräch zueinander in unmittel-
barem Verhältnis stehen, so daß Rede und Gegenrede einfach aufeinander folgen kann. Hier
ist es nicht notwendig, den Antragsteller länger alsfür einen Moment zu binden, so lange bis der
andere ihm Antwort geben kann; will er sich länger binden, weil der andere noch Uberlegungsfrist
haben will, so ist es seine Sache, den Antrag in dieser Weise zu modifizieren. Anders ist es, wenn
beide Teile nicht mit Rede und Gegenrede einander gegenüber stehen, so bei dem Vertrag unter
Abwesenden, auch wenn telegraphischer Vertragsabschluß stattfindet: denn hier geht nichts
direkt vor sich, sondern es müssen Mittelglieder eingeschoben werden. Will man hier die Ver-
Eine Ausnahme gilt von den Strafgefangenen; daß aber auch bei diesen das Persönlichkeits-
recht zu beachten und ihnen nicht mehr aufgelegt werden darf, als dem Strafzweck entspricht, darüber
vgl. Lantzke in Goltd. Arch. 61 S. 4f.
* Vgl. RG. 20. Januar 1910 Entsch. 73 S. 92. Vgl. mein Werk: Recht und Persönlichkeit S. 97.
* Lehrbuch I S. 5646 f. Über die Besonderheit der Auslobung, § 657 f. BGB. und Zwölf
Studien zum BG. IIIS. 44 f. Die Behauptung, welche der Auslobung den Vertragscharakter
abspricht, beruht auf einer so altbürgerlichen Vorstellung von der Vertragsnatur, daß darauf nicht
eingegangen werden kann. Gegen Altbürgerlichkeiten streiten ist ebenso überflüssig, wie wenn
man die Liebhaber der alten Postkutsche vom besseren überzeugen wollte.