Bürgerliches Recht. 73
träge auf gesunde Basis stellen, so kann es nicht anders geschehen, als indem man den Antragenden
eine Zeitlang als gebunden erklärt, so lange nämlich, als anzunehmen ist, daß sich der Antrag
unterwegs befindet, und auch dann noch, so lange als man unterstellen kann, daß eine etwaige
Antwort im ordentlichen Lauf des Verkehrs an den Antragsteller zurückgelangt. Allerdings muß
dabei noch folgendes in Betracht gezogen werden: wenn jemand eine Erklärung abgesandt hat
und eine Contreorder folgen ließ, so wird die eine Erklärung die andere aufheben, aber nur
dann, wenn die Contreorder mindestens gleichzeitig eintrifft. Hat also A. ein Angebot brieflich
abgesandt und telegraphisch widerrufen, so wird es durch den telegraphischen Widerruf rückgängig
gemacht, vorausgesetzt, daß dieser noch vor dem Brief oder mindestens gleichzeitig eintrifft;
und ebenso verhält es sich mit einer Annahmeerklärung. Wenn aber der Brief vorher eintrifft,
so ist der Widerruf wirkungslos: der Antrag ist erfolgt, und er ist während der ganzen oben be-
zeichneten Zeit annahmefähig. Möglich ist allerdings noch der Fall, daß die Annahme richtig
abgesandt ist, aber verspätet ankommt. Dann ist eigentlich der Antragsteller nicht mehr gebunden,
denn, wenn die verfügbare Zeit ohne Annahmeempfang verstrichen ist, so ist er von aller Ge-
bundenheit gelöst. Doch hat man eine Milderung eingeführt, welche sich von selber rechtfertigt.
Wenn nämlich der Antragsteller in solchem Falle erkennen mußte, daß die Annahme rechtzeitig
abgesandt, aber verspätet angekommen ist, so hat er sofort nach Empfang dem anderen Teil von
dieser Verspätung Mitteilung zu machen, mit dem Bemerken, daß er nicht mehr gebunden ist;
sonst würde die rechtzeitig abgesandte, aber verspätet angekommene Annahme wirksam werden.
So die Bestimmungen des §145 f. des BG. sie sind gut und entsprechen fast vollkommen dem-
jenigen, was früher das Handelsrecht verordnet hatte.
Von dem Satze, daß Verkehrsgeschäfte sich durch Angebot und Annahme vollziehen, gibt
es aber Ausnahmen. Unter Umständen können Schulden auch durch einseitige Erklärung des
Schuldners geschaffen werden, sogenannte Schuldschöpfung (Kreation) deren haupt-
sächliche Anwendung in den Inhaber-- und Orderpapieren liegt. Außerdem gibt es Fälle, wo es,
sobald ein Vertragsverhältnis besteht, dem einen Vertragsgenossen möglich ist, durch einseitige
Rechtshandlung (Kündigung usw.) in das Verhältnis einzuwirken. Die am meisten durch-
gearbeitete Form hat dieser Gedanke in den Arbeitsordnungen gefunden, die dem Gewerbe-
recht angehören, von denen noch S. 75 zu sprechen sein wird.
§ 57. Im übrigen ist bezüglich der Form und des Inhalts der Verträge fast alles
freigegeben. Weder Form noch Schablone hat das moderne Recht aufrecht erhalten, und die
Fälle, in denen schriftliche oder gar notarielle Abfassungen erforderlich sind, bilden seltene Aus-
nahmen. Schriftliche Abfassung ist beispielsweise notwendig 1, wenn ein Mietverhältnis über
ein Jahr bindend abgeschlossen werden soll (§5 566 BGB.). Schriftliche Abfassungen sind
im Gewerberecht vorgeschrieben, so für den Lehrvertrag, zwar nicht bei Nichtigkeit, wohl aber
bei Geldstrafe und sonstigen Nachteilen (§5 126 b, 150 Z. 4a, 127d, 127 fGewpO., auch 9379 HGB.).
In einigen Fällen muß mindestens der Schuldner seine Erklärung schriftlich abgeben, so im
Falle der (Nichthandels-,Bürgschaft (§ 766 BGB., aber auch § 350 H#GB.), des abstrakten
Schuldversprechens und der Schuldanerkennung (s 780, 781 BG#B., aber auch § 350 HGB.)
des Leibrentenvertrags (§ 761). Beim Schenkungsversprechen muß der Schenker seine Er-
klärung notariell zum Ausdruck bringen (§ 518 BGB.), ebenso bei der Übertragung des ganzen
gegenwärtigen Vermögens oder eines Bruchteils, § 311.
1 Über den # 126 ist manches streitig. Die Unterschrift (Unterzeichnung) kann zeitlich vor der
übrigen Urkunde geschrieben werden, RG. 2. Dezember 1911 Entsch. 78 S. 26. Es genügt ferner,
wenn der Vertreter mit dem Namen des Vertretenen unterzeichnet, obgleich diese Art des Vor-
gehens nicht' eben empfehlenswert ist. So auch OL. Breslau 25. April 1901 Mugdan II
S. 389, OLG. Königsberg 8. November 1901 ebenda IV S. 209 und RG. 21. Dezember 1901
Entsch. 50 S. 51. Die Unterschrift muß sich auf einen Schriftstück befinden, welches die wesentlichen
Rechtsgeschäftsbestandteile enthält; die Verweisung auf eine nicht unterschriebene Anlage kann
nur dann genügen, wenn die Anlage eine papiermäßige oder durch Versiegelung hergestellte Einheit
mit dem unterschriebenen Schriftstück bildet. Vgl. auch RG. 8. März 1904 Entsch. 67 S. 258 und
12. Dezember 1907 Entsch. 67 S. 204, auch 29. November 1904 Entsch. 59 S. 245, OL G. Stuttgart
12. Mai 1911 Mugdan 23 S. 52.
ç * Im Falle des Schenkungsversprechens wird der Mangel der Form durch Erfüllung geheilt,
un Falle des § 311 nicht, RG. 11. November 1910 Entsch. 76 S. 1, OLG. Marienwerder 9. Oktober
1908 Mugdan XVII S. 376. — Weitere Bestimmung Auswand. Ges. 9. Juni 1897 5 22 u. a.