Bürgerliches Recht. 85
sollen, oder darin, daß eine Erfüllung ausgeblieben ist, für deren Herbeiführung jemand zu sorgen
hatte. Im ersteren Falle spricht man von negativem, im letzteren von positivem
Interesset. Das BG. nennt mehrere Fälle des sogenannten negativen Interesses:
1. Wenn jemand ein nichtiges, z. B. ein scherzhaftes oder anfechtbares Geschäft abgeschlossen
hat und die Nichtigkeit oder Anfechtung zur Geltung kommt; Voraussetzung ist, daß der andere
Teil in dieser Auffassung nicht fahrlässig gehandelt hat: den Dummen und Toren, die einen
Scherz nicht verstehen, brauchen wir nicht mit unserem Geld zu haften; 2. wenn das Geschäft
wegen Irrtums oder falscher Übermittelung angefochten wird (vgl. §§ 118—122 BGB.);
3. wenn jemand als Stellvertreter Geschäfte abschließt ohne Vertretungsmacht, aber in Unkennt-
nis dieses Mangels. Auch hier ist vorauszusetzen, daß der andere Teil nicht in Fahrlässigkeit war,
denn wenn er diesen Mangel gekannt hat oder hätte kennen sollen, dann braucht man ihm für
das Geschäft nicht einzustehen (§ 179 BG.).
Der 4. Fall ist endlich der des Versprechens mit unmöglichem Inhalt, wovon oben (S. 82)
gehandelt worden ist.
Die Haftung ist in diesen Fällen nicht eine Haftung für die Erfüllung des Geschäfts, sondern
für den Schaden, der aus dem Abschlusse des Geschäfts hervorgeht 2. Das Ungehörige besteht darin,
daß ein Geschäft abgeschlossen worden ist, das nicht hätte abgeschlossen werden sollen, und dieser
Abschluß kann schädigende Wirkungen haben: der Kontrahent hat infolgedessen Auslagen ge-
macht und Vorbereitungen getroffen; noch mehr, er hat infolgedessen günstige Gelegenheiten
versäumt, weil er annahm, daß er durch dieses Geschäft völlig gedeckt sei 8.
Der positive Schadenersatz des BGB. aber ist zu leisten, falls der Schuldner für eine
ausgebliebene Erfüllung haftet; er ist außerdem zu leisten im Falle unerlaubter Handlung.
Der Rechtsgedanke dieses Schadenersatzes wird beherrscht von dem Grundsatz der möglichst
vollständigen Wiederherstellung. Der Schadenersatzberechtigte kann hier verlangen, daß dasjenige
herbeigeführt wird, was er hätte, wenn das Widerrecht nicht eingetreten wäre und das Recht
seine normale Entwicklung gefunden hätte. Der Schadenersatz soll also in erster Reihe ein Real-
schadenersatz sein. Der Berechtigte kann daher nachträgliche Leistung verlangen, er kann,
wenn die Leistung eine mangelhafte war, verlangen, daß der andere die Leistung verbessert,
vervollständigt, ergänzt; und wenn es sich um eine verspätete Leistung handelt, kann er ver-
langen, daß der Pflichtige die durch Verzug entstandenen Mißverhältnisse in irgendeiner Weise
ausgleicht (§ 249 BGB.). Auf solche Weise kann der Schadenersatzanspruch den ursprünglichen
Leistungsanspruch in sich schließen; daß er aber zugleich Schadenersatzanspruch ist, zeigt sich in
folgendem: läßt ein widerrechtliches Handeln oder Unterlassen eine Wiederholung befürchten,
so hat man einen weiteren Anspruch darauf, daß die Wiederholung unterbleibt, also künftig die
Leistung oder Unterlassung stattfinde, wie sie das Recht verlangt.
Der Grundsatz des Realschadenersatzes ist nicht ohne einige Milderung durchzuführen.
Es kann insbesondere vorkommen, daß die Wiederherstellung, d. h. die Herbeiführung des ge-
schuldeten Zustandes, ganz unverhältnismäßige Kosten verursacht. Man denke sich den Fall,
daß ein Gebäude wegen irgendeines Mangels ganz umgebaut werden müßte, daß die Herstellung
aller vertragsmäßigen Einzelheiten nur mit einem geradezu vernichtenden Kapitalaufwand
möglich wäre. In diesem Falle geht der Anspruch zwar immer noch auf die Wiederherstellung,
aber der andere Teil hat die sog. facultas alternativa, an ihrer Stelle Geldentschädigung zu
leisten. In drei Fällen kann ferner der Berechtigte statt der Realerfüllung Gelderfüllung verlangen:
1. bei Verletzung der Person, 2. bei Beschädigung einer Sache: in diesen Fällen kann der Be-
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1 Lehrbuch II S. 134, RG. 14. Juni 1904 Entsch. 88 S. 326; vgl. auch Brock, Das negative
Vertragsinteresse (1902) S. 60 f., Rabel, Der sog. Vertrauensschaden im schweizerischen Recht
in Z. für Schweizer Recht XXVII. Hier auf S. 261 über die französische Literatur.
* Man hat die Lehre von der culpa in contrahendo als eine große Entdeckung Jherings
gepriesen; dies ist ungeschichtlich, da schon das Preuß. LR. 15 3 284 die Bestimmung enthält: „Was
wegen des bei Erfüllung des Vertrages zu vertretenden Grades der Schuld Rechtens ist, gilt auch
auf den Fall, wenn einer der Kontrahenten bei Abschließung des Vertrages die ihm obliegenden
Pflichten vernachlässigt hat.“ Das Naturrecht war längst zu dieser Erkenntnis gelangt. Über die
gemeinrechtliche Literatur vgl. Melli ß er, Culpa in contrahendo S. 4 ff.
S an **“ Kleineidam, Unmöglichkeit, S. 120, Kisch, Wirkungen der Unmöglichkeit,