86 J. Kohler.
rechtigte guten Grund haben, das Hineinwirken des anderen in seine Angelegenheiten abzulehnen;
wer von einem anderen verwundet ist, will sich nicht von ihm kurieren lassen, und wenn jemand
meine Fensterscheiben zertrümmert hat, so ist es mir lieber, wenn ich sie auf seine Kosten einsetzen
lasse, als wenn ich mich mit ihm noch einmal herumärgern muß. Der 3. Fallliegt dann vor, wenn ich
dem anderen eine Frist zur Realerfüllung gesetzt habe und er diese Frist versäumt, z. B. wenn
ich jemandem, der an dem Abhandenkommen meiner Sache schuldig ist, eine Frist von sechs Wochen
setze, um die Sache wieder herbeizuschaffen. Offenbar wäre es nicht in meinem Interesse, wenn
ich auf das Beibringen meiner Sache endlos warten müßte und mich erst in dem Augenblick
zu etwas anderem verstehen könnte, wo das Herbeischaffen sich als unmöglich erweist. Bei Trans-
portverträgen, namentlich der Eisenbahnen, sind hierfür oft besondere Fristen gesetzt, §85 249 ff.
Be#B., und bezüglich der Eisenbahn vgl. Eisenbahnverkehrsordnung 23. Dezember 1908 5§ 35,
36, 90, 91, Berner Eisenbahnkonvention a. 33, 36.
Eine Ausgleichung ist mitunter notwendig, wenn der Schuldige infolge der Verpflichtung
zum Realschadenersatz an Stelle der alten Sache eine neue herbeigeschafft hat, so daß der Be-
rechtigte nun mehr hat, als er mit der alten Sache gehabt hat; für solche Fälle bietet das
Seerecht belehrende Einzelheiten, vgl. §§ 710, 872 HGB. 1: überhaupt ist Vorteil und
Nachteil auszugleichen. Auch sonst können ähnliche Pluswirkungen eintreten 2.
In allen Fällen aber, wo Realersatz nicht oder nicht vollständig geleistet werden kann,
muß man zum Geldersatz greifen, d. h. es soll im abstrakten Vermögen die Lücke ergänzt werden,
die jemandem dadurch entstanden ist, daß eine konkrete Leistung nicht erfolgt ist. Ein solcher
Schadenersatz durch Geldäquivalent heißt Entschädigung:sie soll eine abstrakte Vermögenslage (Geld-
lage) herstellen, welche der Vermögenslage, wie sie normativ sein sollte, im Werte gleichkommts.
Diese Vermögenslage aber ist nicht nur eine Vermögenslage in bezug auf das Einzelvermögens-
stück, sondern auch eine Vermögenslage in bezug auf das Gesamtvermögen. Wenn mir beispiels-
weise ein Gegenstand abhanden gekommen ist, so stellt der Verkehrswert dieses Gegenstandes
die Ersatzsumme dar, wenn er als Einzelgegenstand in Rechnung gezogen wird. Bei einer
vernünftigen Vermögensverwaltung aber haben sämtliche Gegenstände eine Bedeutung durch
ihr Gesamtwirken, wobei der eine Gegenstand in Verbindung mit anderen neue Werte
enthält und neue Werte produziert; wird nun eines dieser Elemente vemichtet, so muß
möglicherweise infolgedessen eine ganze Produktion unterbleiben. Dies ist der Gesamt-
heitsschaden im Gegensatz zum Einzelschaden. Z. B. es zerstört Jemand in einem
Winterhotel die Zentralheizung, so daß sämtliche Gäste ausziehen; oder es verdirbt Jemand
die Eismaschine, so daß der Eisverkäuser den ganzen Sonntagnachmittag nichts verdienen
kann. Man spricht hier von entgangenem Gewinn. Natürlich bedarf es einer
freien Beurteilung, ob eine solche Erzeugung von Vermögenswerten auch wirklich zu erwarten
gewesen wäre, und hierbei muß eine gewisse Wahrscheinlichkeit an Stelle der Sicherheit treten;
denn ob ein bestimmter Kombinationserfolg erzielt worden wäre, ließe sich oftmals nur dann sicher
ermitteln, wenn man mit prophetischer Gabe ausgestattet wäre. Wann die Wahrscheinlichkeit
der Sicherheit gleichsteht, ist danach zu beurteilen, ob man nach der Regel des Lebens auf einen
Erfolg so zu bauen pflegt, daß man ihn zum Ausgangspunkt weiterer wirtschaftlicher Betätigungen
macht: baut das Leben hierauf, so kann und muß auch das Recht darauf bauen. Hiernach ist es
klar, daß die Frage über die Höhe des Schadenersatzes nicht etwa bloß eine tatsächliche, sondern
auch eine juristische ist, 9 2502 BGB.
Ist so die Schadenersatzlehre des BGB. in manchen Punkten zutreffend, so läßt sie nach
anderer Seite wieder viel zu wünschen übrig. Es ist unrichtig, daß die Schadenersatzpflicht, was
die Geldentschädigung betrifft, immer dieselbe ist, ohne Rücksicht auf die Umstände, welche das
Einstehen des Schuldners veranlaßt haben, namentlich ohne Rücksicht auf den größeren
Vgl. Oertmann, Vorteilsausgleichung (1901) S. 237.
: RG. 4. Januar 1907 Entsch. 65 S.
* Zur Vermögenseinbuße des sch Se gehört auch die Vermögenseinbuße eines Dritten,
dessen Interesse der Geschädigte zu vertreten hat; z. B. der Mieter verzögert die Räumung, der
neue Mieter kann nicht einziehen: der Vermieter verlangt Schadenersatz mit Rücksicht auf den
Schaden des neuen Mieters. Hier erheben sich einige schwierige Fragen; vgl. Krückmann,,
Jahrb. f. Dogm. 56 S. 277 f.