Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Zweiter Band. (2)

88 J. Kohler. 
Gläubiger Geld zu zahlen, so wenn der Handwerker im Haus des Bestellers zu arbeiten hat: 
die Geldübertragung kann nur mit Hülfe des Gläubigers erfolgen, die Arbeit im Hause des 
Gläubigers muß unterbleiben, wenn dieser dem Arbeiter den Eintritt versagt. Allerdings 
gibt es auch eine Reihe von Leistungen, die der Schuldner in seinem Bereiche vollziehen kann, 
ohne daß er des Gläubigers bedarf, z. B. wenn der Schuldner sich anheischig macht, sein Ge- 
bäude abzutragen, um dem Gläubiger eine bessere Aussicht zu verschaffen, oder wenn er ver- 
spricht, eine Erfindung zu vervollkommnen oder sonst für die Menschheit tätig zu sein. Auch 
die Verbindlichkeiten zu einem Nichttun sind von der Mitwirkung des Gläubigers unabhängig. 
Wo nun aber eine Mitwirkung des Gläubigers nötig ist, kann der Fall vorkommen, daß 
der Schuldner erfüllen will und der Gläubiger das Seinige nicht tut, sei es, daß er es nicht tun 
kann oder nicht tun willjz sei es, daß er es nicht will aus Irrtum, aus Eigensinn oder aus 
irgendeinem anderen Grunde. So insbesondere, wenn der Schuldner, um seine Verpflichtung 
zu erfüllen, eine Geldleistung anbietet und der Gläubiger sie nicht annimmt. Hier entsteht eine 
Rechtsschwierigkeit, die überwunden werden muß; denn wenn der Schuldner erfüllen soll, so 
muß man ihm auch die Möglichkeit geben, zu erfüllen, nicht nur um sein Gewissen zu befriedigen, 
sondern vor allem auch, damit sein Vermögen von der Last der Verbindlichkeit befreit wird; 
dies namentlich, wenn für die Schuld Bürgschaften oder Pfänder bestehen: hier ist seine Be- 
freiung von gesteigertem Interesse zum Zweck der Befreiung Dritter. Sollte nun der Gläubiger 
seine Mitwirkung versagen 1, so muß der Schuldner die Möglichkeit haben, sich einseitig zu be- 
freien. Ursprünglich gab der Schuldner, der eine Sache zu leisten hatte, einfach diese Sache preis: 
er legte das Geld an einen bestimmten Platz, so daß der Gläubiger es abholen konnte;z er stellte 
sich bereit, um dem Gläubiger zu dienen, so daß dieser noch im letzten Augenblick die 
Leistung anzunehmen vermochte. Auf solche Weise hat sich ein System von sog. Ersatz- 
mitteln gebildet, verschieden natürlich nach der Anschauung der Völker. Bei den Indern 
gab man die geschuldete Sache dem Gott Varuna; bei den Deutschen trug man das Geld dem 
Gläubiger vor die Schwelle oder in das Heiligtum des Waldes; bei den Römern brachte man 
die geschuldete Summe in einen Tempel oder legte sie bei sich selbst versiegelt nieder. Heutzutage 
bringt man Geld, Kostbarkeiten, Urkunden, Wertsachen an die Hinterlegungsbehörde; bezüglich 
anderer Sachen bestehen leider noch lange nicht die nötigen Vorkehrungen, und der Schuldner 
ist hier mehr oder minder im Gedränge: er darf die Erfüllungssache, die der Gläubiger nicht 
annimmt, auf dem Wege der öffentlichen Versteigerung veräußern und den Preis hinterlegen 
(5 383 BGB.)2, — eine Aushilfe, welche aber durchaus nicht immer zum Ziele führt. Besser 
wäre es gewesen, hier, wie im Handelsrecht, dem Schuldner die Privathinterlegung in 
einem Lagerhaus und dergleichen zu gestatten. Ein Grundstück, das der Gläubiger nicht 
annimmt, darf er preisgeben (§ 303 BGB.). Was aber Dienste betrifft, so wird im Falle 
der Nichtannahme der Dienst als geleistet betrachtet, und der Gläubiger hat die Gegen- 
leistung zu machen; nur kann er dabei abziehen, was dem Dienstleistenden durch die Nicht- 
leistung erspart bleibt, oder was er infolge solcher Nichtannahme anderweitig erworben hat oder 
doch hätte erwerben können, wenn er nicht eine sich darbietende Gelegenheit wider die guten 
Treuen frevelhaft abgelehnt hätte (§615 BGB.) #; und ähnliches gilt auch bei dem Werkvertrag, 
wenn der Gläubiger das Werk nicht annimmt: selbstverständlich muß gerade im letzteren Fall 
alles, was dem Unternehmer durch die Nichtleistung erspart wird, abgezogen werden (§ 649 
BGB.). Das BG#. drückt dies durch die Formel aus, der Besteller dürfe den Vertrag kündigen; 
das will heißen: erklären, daß er die Ausführung nicht wolle. Man denke sich den Fall, daß ich 
: Ein Anspruch auf Annahme und ein Zwang hierzu wäre sachwidrig: der Gläubiger kann 
ja jederzeit auf die Forderung verzichten. Aus § 433 folgt nicht das Gegenteil, noch weniger aus 
#640 BGB. Jacobi, Jahrb. f. Dogm. 45 S. 269 hält mir den Fall vor, daß der Käufer erklärt, 
die Ware zwar annehmen, aber nicht zahlen zu wollen. Allein dies ist Zahlungsverzug und führt 
natürlich zur dastung des Käufers. Unrichtiges auch bei Striebinger, Begriff der Abnahme 
(1906) S. 28f. 
Statt der Hinterlegung des Erlöses kann natürlich auch die Aufrechnung treten, wenn der Fall 
gegeben ist, Zwölf Studien zum BG#B. 1 S. 199, RG. 26. November 1906 Entsch. 64 S. 367. 
Nicht also, wenn er sie abgelehnt hat, um seine Gesundheit zu schonen; vgl. von Harenne, 
Annahmeverzug des Dienstberechtigten, S. 107.
	        
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