Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

6 Otto v. Gierke. 
Wandlungen vor, die in neuester Zeit zum Durchbruch kamen. Die autonomische Rechts- 
bildung wurde durch die staatliche Gesetzgebung zurückgedrängt und endlich das Handelsrecht 
in ein staatlich gesetztes Sonderrecht umgeprägt, bei dessen Gestaltung freilich der Handels- 
stand sich immer noch eine kräftigere Mitwirkung, als anderen Ständen vergönnt blieb, zu 
wahren wußte. Die ständische Geschlossenheit des Handelsrechts wurde durchbrochen, sein 
Geltungsbereich unter Heranziehung objektiver Gesichtspunkte erweitert, sein Inhalt in nähere 
Verbindung mit dem des bürgerlichen Rechtes gesetzt. Das Handelsrecht wurde in großen 
Gesetzbüchern kodifiziert und national vereinheitlicht. Darüber hinaus meldet sich das Streben 
nach internationaler Ausgleichung an, das auf einzelnen Gebieten (z. B. im Eisenbahnrecht) 
bereits erhebliche Erfolge aufzuweisen hat. 
Literatur: L. Goldschmidt, Universalgeschichte, des Dandelsrechts, Bd. 1 1891 
(Bd. 1 Abschn. 1 Lief. 1 der 3. Aufl. des Handbuchs): Handb., 2. Aufl. Bd. 1. — Lastig, Ent- 
wicklungswege und Quellen des Handelsrechts, 1877; z Beiträgel in der Zeitschr. f. HR. XXIII 138 ff., 
XXIV 387 * — Endemann, Studien in der romanistisch-kanonistischen Wirtschafts= und 
Rechtslehre, 2 Bde., 1874 u. 1878. — A. Lattes , II diritto commerciale nella legislazione 
statutaria delle citta Italiane, Milano 1884; Studü di diritto statutario 1886; II diritto consuetudio- 
nario delle cittaà Lombarde, 1899. — P. i uvelin, L'histoire du droit commercial, Paris 1904. 
Zweites Kapitel. 
Quellen, Literatur und Hilfsmittel des deutschen 
Handelsrechts. 
g 4. Die deutschen Handelsgesetze. Im Mittelalter finden sich in Stadtrechten und 
Gildesatzungen einzelne handelsrechtliche Bestimmungen. Seit dem siebzehnten Jahrhundert 
griff die Gesetzgebung stärker ein, aber immer nur partikulär und in einzelnen Punkten. Die 
erste Kodifikation des Handelsrechts vollzog das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 
in T. II Tit. 8 Abschn. 7: „von Kaufleuten". Daneben wurde in Deutschland der französische 
Code de commerce von 1807, beruhend auf den Ordonnanzen von 1673 und 1681, als Stück 
der Napoleonischen Gesetzgebung eingeführt und im Gebiet des rheinischen Rechts in Kraft 
belassen. In Baden wurde eine Ubersetzung des Code de commerce dem Landrecht als An- 
hang „von Handelsgesetzen“ beigegeben. 
Als nach den Freiheitskriegen die auf Erringung eines einheitlichen deutschen Privat- 
rechts gerichtete Bewegung gescheitert war, tauchte mehrfach der Plan auf, mindestens ein 
deutsches Handelsgesetzbuch zu schaffen. Eine Anregung MWürttembergs beim 
Zollverein im Jahre 1836 blieb erfolglos. Die Ausarbeitung eines Entwurfs durch eine im 
Jahre 1848 vom damaligen Reichsjustizminister eingesetzte Kommission wurde nach Fertig- 
stellung von fünf Titeln abgebrochen. Im Jahre 1856 berief der Bundestag auf Antrag 
Bayerns eine von den meisten deutschen Staaten beschickte Kommission „zur Entwerfung und 
Vorlage eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für die deutschen Bundesstaaten". Die Kom- 
mission tagte vom 15. Januar 1857 bis zum 12. März 1861 in Nürberg (nur für das See- 
recht in Hamburg) und brachte unter Zugrundelegung eines preußischen Entwurfs und Mitbe- 
nutzung eines österreichischen Entwurfs in drei Lesungen, zwischen deren zweiter und dritter 
die Kritik gehört wurde, das ihr aufgetragene Werk zustande. Der Bundestag empfahl durch 
Beschluß vom 31. Mai 1861 den einzelnen Staaten, das Gesetzbuch einzuführen und womög- 
lich einseitig nicht abzuändern. Die Inkraftsetzung erfolgte durch Einführungsgesetze der 
deutschen Staaten in den Jahren 1861 bis 1867 (ausgenommen Schaumburg-Lippe, Holstein 
und Luxemburg). 
Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch wurde im Jahre 1869 
zum Gesetz des Norddeutschen Bundes und später zum deutschen Reichsgesetz erhoben. Da- 
durch wandelte es sich aus allgemeinem Recht in formell gemeines Recht und wurde der 
Abänderung durch Landesgesetz entzogen. Dagegen erfuhr es durch jüngere Reichsgesetze (be- 
sonders im Mtiengesellschaftsrecht) wichtige Anderungen.
	        
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