Wechsel= und Scheckrecht. 187
sich beziehen könne (Theorie des einseitigen Literalaktes); der Wechsel sei ein
auf dem Kredit von Privaten unter der Einlösungsgarantie des Ausstellers umlaufendes
Papiergeld der Kaufleute; dies abstrakte Zahlungsversprechen werde durch die persön-
lichen Zwischenverhältnisse der Inhaber, durch deren Hände der Wechsel geht, nicht berührt;
daher seien alle nicht aus dem Papier ersichtliche Einreden, die gegen frühere Inhaber bestanden,
ausgeschlossen. Diese Theorie wurde trotz der juristisch unzutreffenden Gleichstellung von Wechsel
und Papiergeld bahnbrechend.
5. An sie und an die römische Stipulation anknüpfend schuf Liebe unter Betonung
der rein formalen Natur und der Unabhängigkeit des Wechselversprechens von der materiellen
Causa die Theorie des (einseitigen)) Formalakts.
6. Im Anschluß hieran führte Thöl scharf zivilistisch aus, daß der Wechsel ein ab-
straktes Summenversprechen, d. h. von den unterliegenden Verhältnissen los-
gerissen sei. Anderseits aber machte er mit besonderem Nachdruck, im Gegensatz zu Einert,
den Vertragscharakter der Wechselverpflichtung geltend; dieser eigentliche Wechselvertrag
gehe nicht der Skriptur voran, sondern folge ihr nach; er sei ein abstrakter Formalvertrag, und
zwar werde er durch das Geben und Nehmen des Wechsels (Begebung, geschlossen;
er sei einseitig; nur der Wechselgeber (Aussteller, auch Indossant, Avalist und Akzeptant) werde
verpflichtet, und zwar auch jedem späteren Wechselnehmer so, als ob er ihm unmittelbar das
Summewversprechen gegeben hätte; der Wechselnehmer werde dagegen nicht verpflichtet, sonderm
nur (bedingt) berechtigt. Dieser Begebungsvertragstheorie haben sich (eng oder frei) zahlreiche
deutsche Juristen 1 und Gerichtshöfe, wiederholt auch das Reichsgericht: angeschlossen. Im
einzelnen divergieren sie freilich vielfach. So betrachten sie als Gegenkontrahenten des Aus-
stellers teils eine incerta persona, teils den Präsentanten 2, teils den ersten rechtmäßigen Er-
werber des Papiers", zumeist aber den Remittenten, der den Vertrag dann mit den späteren
Inhabern als Bote, Mandatar oder Delegant vermittele resp. den Vertrag mit dem Aussteller
zugunsten Dritter oder zu eigenen Gunsten und zugunsten Dritter abschließe. Manche ver-
langen, daß durch das Geben und Nehmen das Eigentum übertragen werde, andere begnügen
sich mit Besitzübertragung; einzelne nehmen mehrere Verträge, viele nur einen Vertrag an.
7. Den Vertragscharakter bekämpft dagegen (unter Wiederanknüpfung an Einert
und an Gedanken Sachses und Bekkers) energisch die von Kuntze (1857) geschaffene
und von zahlreichen neueren Schriftstellern s in verschiedener Graduierung (für Inhaber= und
Orderpapiere) angenommene Theorie des einseitigen Akts (Kreations-
t heorie): „Der Aussteller des Papiers ist der einseitige Schöpfer des nomen“ „der Nehmer.
ist Empfänger, nicht aber Mitschöpfer desselben, wenn es auch in seiner Person zuerst zur
Perfektion gelangt.“ Geben und Nehmen des Papiers ist zwar üblich, doch besteht — ohne
Begebung — schon zuvor die Wechselverbindlichkeit des Ausstellers resp. Indossanten, Avalisten
und Akzeptanten. Nur diese Annahme des einseitigen Akts erklärt ungezwungen das vom
Verkehrsinteresse erforderte Wechselrecht des späteren redlichen Wechselerwerbers in einer Reihe
von Fällen, in denen ein Vertrag des Ausstellers offenbar nicht vorhanden ist, so, wenn der
Remittent geschäftsunfähig, oder wenn der Wechsel dem Aussteller gestohlen oder verloren
gegangen oder nach seinem Tode in den Verkehr gebracht worden ist.
Diese Theorie erscheint, von Einert selbst abgesehen, in folgenden vier Haupt-
gestaltungen:
„: Bernstein, G. Binding, Bluntschli, Brunner, Dahn, Franken,
Gareis, Gerber, Gierke, Goldschmidt, Hartmann, Hübner, Jacobi,
Ladenburg: K. Lehmann, Pappenheim, Renaud, Rießer, Sohm,
Stranz.
Vgl. jedoch auch RG. 9 S. 56 bezüglich des Akzepte.
Sog. Pendenztheorie (Ihering, Förster, Rießer). **m“
Gierke in Z. f. HR. 29 S. 258 u. DPrR. II S. 114. Pappenheim in 3. f.
HR. 33 S. 448.
* So Carlin, v. Canstein, Cosack, Crome, Dernburg, Endemann,
Enneccerus, Gengler, Grawein, Grünhut, Ihering, Jollv, Kohler,
Langen, H. O. Lehmann, Randa, Rehbein, Schmidt, Siegel, Staub,
Stobbe, Unger, Volkmar u. Loewy, Windscheid.
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