188 Georg Cohn.
a) als Personifikationstheorie: die bloße Unterschrift genügt; der Wechsel
ist der Gläubiger (Bekker, Volkmann und Loewyg). Der Wechsel ist aber nicht
Rechtssubjekt, sondern Rechtsobjekt; überdies müßten nach jener Theorie auch alle Einreden aus
dem persönlichen Verhältnis des Wechselschuldners zum klagenden Wechselgläubiger ausgeschlossen
sein, was ganz und gar nicht der Fall ist;
b) als Erwerbs- (Besitz-) oder sog. reine (strenge). Kreationstheorie: es bedarf
außer der Skriptur nur noch der Erwerbshandlung (Nehmens) des Wechsels seitens eines
sormell Legitimierten (Kuntze). Nach dieser Theorie ist auch der unredliche Besitzer, selbst
der Dieb Wechselgläubiger, und es ist seine Abweisung erst durch eine vom Aussteller zu be-
weisende Einrede (exceptio doli) zu erzielen. Diesen Umweg vermeidet die dritte Gestaltung:
c) als Redlichkeitstheorie: es bedarf außer der Skriptur noch des gutgläubigen
Besitzerwerbs seitens eines formell Legitimierten (Bluntschli bez. des Inhaberpapiers,
Grünhutbez. des Wechsels, denen wir uns anschließen)
d) als Emissionstheorie: es bedarf außer der Skriptur und außer der Erwerbs-
handlung noch eines freiwilligen Aufgebens der Detention, m. a. W. einer Entäußerungs-
handlung, durch welche der Aussteller Besitz (Jolly, Stobbe, Windscheid) aufgibt;
diese Entäußerungshandlung kann zweiseitig (Tradition) oder auch nur einseitig (Dereliktion
sein; nach HK. O. Lehmann muß noch Eigentumserwerb am Papier hinzutreten.
Nach dieser Theorie bliebe der dem Aussteller gestohlene oder verlorene Wechsel auch in den
Händen des dritten redlichen Erwerbers wirkungslos.
Es fehlt auch nicht an Konstruktionen, die Vertrags- und Kreationstheorie kumulieren
oder für die verschiedenen Wechselakte (Ausstellung und Giro einerseits, Akzept und Aval anderer-
seits) die eine resp. die andere zur Anwendung bringen 1. Selbst auf ein Verschulden hat man
die Wechselobligation zurückzuführen versucht (Schloßmann).
Während die deutsche WO. zur Frage der Wechseltheorien (vom Akzept abgesehen, vgl.
oben § 10 vor N. 8) keine unzweideutige Stellung genommen hat, hat das BG B. nicht nur
bezüglich der Quittungen (§ 370) die Kreationstheorie anerkannt, sondern auch bezüglich der
Schuldverschreibungen auf den Inhaber nach der „weitaus herrschenden Meinung“ ? die Be-
gebungs- und auch die Emissionstheorie ausdrücklich verworfen (§ 794) und durch § 793 die Redlich-
keitstheorie sanktioniert. „Gleiches muß auch für den Wechsel angenommen werden. Es
wäre zwecklos, wenn die Gegner den Kampf noch fortsetzen wollten“ (Dernburg S. 238).
Daran vermag auch die Bezugnahme von H. O. Lehmanna auf das Recht der Anweisung
(BGB. F 783) nichts zu ändern; denn bei dem Eigenwechsel versagt die Analogie ganz, während
bei der Tratte die Unterschiede die Ahnlichkeiten bei weitem überwiegen, der Blankowechsel
aber dem Inhaberpapier ganz nahekommt. Auch die gleichfalls herangezogenen §§ 1187 u. 1188
dürften nicht entscheiden 4.
8. Die englische Act s. 21 und russische WO. Art. 15 und 89 haben die Kreationstheorie
ausdrücklich abgelehnt, indem sie erst mit der delivery resp. Aushändigung die Verbindlichkeit
des Ausstellers entstehen lassen; immerhin präsumieren sie die richtige Ubergabe unter gewissen
Voraussetzungen. Ebenso das amerikanische Negotiable Instr. Law § 35.
9. Die französische Theorie steht zumeist auf dem alten Boden des Kaufs oder kaufähnlichen
Konsensualvertrags oder sieht im Wechsel einen contrat de transport fictif d’argent oder eine
Schuldurkunde über das Kausalverhältnis (reconnaissance de dette ). Thaller erklärte
früher den Wechsel als eine solenne schriftliche Zession einer nicht abstrakten Geld-
forderung (Übertragung der Deckung mit Garantie aller Zedenten und strengen Säumnis-
1 Vgl. K. Lehmann S. 608 u. 609 N. 1; bezüglich des Reichsgerichts vgl. oben zu diesem
Paragraph die 4. Note.
* A. M. freilich Cordes, Eck, Gierke, Jacobi und Herbert Meyerz; pgl.
Endemann, Bürg.5 N. I S. 1224 K. 32, Pland, Komm. zu § 793 A. 2, Düringer-
Hachenburg, 2 .Aufl., II S. 627, besonders Langen S. 1 ff. u. Oertmann, Komm.
vor § 793 N. 5.
* Deutsche Juristen-Zeitung V S. 170 ff., 1901.
* Vgl. Langen S. 96ff.
* Wieland S. 126.