Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

268 J. Kohler. 
infolgedessen Geschäftsbeschränkte oder gar Geschäftsunfähige selbst die Klage erheben (88 664, 
679 3PO.). Und was die Gewerbe- und Kaufmannsgerichte betrifft, vgl. 8 30 GewGG., 8 16 
KaufGG. 
Wohl zu unterscheiden von der Prozeßfähigkeit ist die Erscheinungsmöglich- 
keit, d. h. die Möglichkeit, die Form einer Prozeßhandlung zu erfüllen. Nicht selten bedarf 
die Prozeßhandlung einer Form, und zur Form kann gehören, daß sie von einer bestimmt 
geeigenschafteten Persönlichkeit ausgeht. Dies kann zur Sicherheit dafür verordnet sein, daß 
die Prozeßhandlung wohlvorbereitet ist; es kann aber auch zu dem Zwecke dienen, damit jemand 
vorhanden ist, an den man sich leicht wenden kann, nachdem durch die Prozeßhandlungen das 
Verfahren in Lauf gekommen ist. Der Hauptfall ist der des Anwaltsprozesses: in vielen Prozeß- 
sachen kann die mündliche wie schriftliche Prozeßhandlung nur durch einen Rechtsanwalt vor- 
genommen werden, oder mindestens bedarf es eines Rechtsanwaltes, der neben der Partei 
handelt und den Prozeß auf sich nimmt. Der Grund ist der: man will, namentlich bei Mehr- 
heitsgerichten, wohlvorbereitete Erklärungen entgegennehmen und es nicht etwa nötig haben, 
aus laienhaften Außerungen der Parteien ihren Willen zu erraten; dazu kommt noch das weitere 
Interesse, daß der Prozeß von einem Anwalt geführt werden soll, der in der Nähe weilt, und 
mit dem man daher ohne weiteres verkehren kann. Ein Ahnliches gilt, was das Patent eines 
Ausländers betrifft; ein solcher hat in bezug auf die das Patent betreffenden Prozesse nur dann 
die Erscheinungsmöglichkeit, wenn er einen inländischen Vertreter hat; denn nur dann ist jemand 
vorhanden, der ohne Verzug und Umstände aktiv und passiv das tief in das Rechtsleben ein- 
greifende Erfinderrecht zu vertreten vermag 1. 
In den Prozessen vor Mehrheitsgerichten gilt der Anwaltszwang durchgängig für münd- 
liche wie schriftliche Prozeßhandlungen, weshalb auch dem Beklagten bei der ersten Ladung 
kundzugeben ist, daß er einen Anwalt zu bestellen hat, 5 215 8 PO. 2; eine Ausnahme gilt nur 
in zwei Fällen, nämlich 1. bei den Rechtshandlungen, die nicht vor dem Kollegium, sondern 
vor einem einzelnen Mitgliede vorgenommen werden, welches im Namen des Kollegiums 
handelt, so z. B. bei einer Zeugeneinverahme; und 2. bei den Rechtshandlungen, die vor dem 
Gerichtsschreiber vorgenommen werden können, gleichgültig, ob sie wirklich vor dem Gerichts- 
schreiber vorgenommen werden, oder ob sie in einer schriftlichen Eingabe an das Gericht erfolgen 
(8 78 3PO.). 
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die sogenannte Erscheinungsmöglichkeit nicht ein personen- 
rechtliches Erfordernis ist, sondern ein Erfordernis der Form, welches allerdings eine bestimmte 
persönliche Ausladung hat. Daraus geht auch hervor, daß im internationalen Prozeßrecht für 
die Erscheinungsmöglichkeit nur das Gesetz des Prozeßortes, nicht das Gesetz der Heimat der 
Partei in Betracht kommt; es kann daher kein Fremder beanspruchen, bei unseren Land- 
gerichten deshalb ohne Rechtsanwalt prozessieren zu dürfen, weil er in seinem Lande ohne An- 
walt prozessieren kann. Das Widerspiel zum Anwaltszwang ist die verkehrte Bestimmung unseres 
Gewerbegerichtsgesetzes (§ 31), daß bei den Gewerbegerichten Rechtsanwälte als Vertreter oder 
Beistände ausgeschlossen sind (auch Kaufmanns G. 16). 
B. Gericht. 
1. Allgemeines. 
§J# 13. Das Prozeßverfahren ist ein Verfahren unter Mitwirkung des Gerichts und der 
Gerichtsorganc. 
Gericht ist dieienige Behörde, die mit der staatlichen Autorität versehen ist, Recht 
zu sprechen und das Recht zu verwirklichen. Gerichtsorgane aber sind Beamte, welche inner- 
halb des Kreises der Gerichtstätigkeit mit größerer oder geringerer Selbständigkeit wirksam 
1 Handbuch des Patentrechts S. 414 f., 417 f., 420 f., Lehrbuch des Patentrechts S. 173. 
Personen, welche zum Armenrecht zugclassen werden, bekommen im Anwaltsprozeß und 
möglicherweise auch im Nichtanwaltsprozeß einen Rechtsanwalt unentgeltlich beigeordnet (bei 
dem Amtsgericht möglicherweise auch einen sonstigen Rechtskundigen) #§ 115, 116 BZPO., + 34 
RechtsanwO. (RAO.). Das System des Armenanwalts sindet sich auch in den italienischen 
Statuten; in Bologna (1250) 124 gab es einen judexr pauperum zum Beistand der viduae, orfani,
	        
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