Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

276 J. Kohler. 
reich die Anrufung der Parlamente sehr dazu beigetragen, das Recht aus der Zersplitterung 
zu erretten und einen größeren Zug in die Rechtsbildung zu bringen. In Deutschland haben 
leider diese Bestrebungen zu keinem rechten Ziele geführt; daher die bedauerliche Zerfahrenheit 
des Rechtszustandes. 
Die modernen Kulturstaaten haben aus dem Prinzip des Volksgerichts vielfach die 
Zuziehung von Laien beibehalten. So namentlich England: hier gibt es Geschworene auch 
in bürgerlichen Streitsachen, Zivilgeschworene. In Italien und in Deutschland ist mit Unter- 
gang der Schöffenverfassung das Laienelement zurückgedrängt worden, denn als man das 
fremde Recht annahm, konnte man seine Kenntnis von den Laien nicht erwarten. Und so waren 
nun die Gerichte sämtlich königliche oder landesherrliche Gerichte, und so entwickelte sich auch 
ein geregelter Rechtsmittelgang an ein Obergericht, das demselben oder wenigstens einem 
verwandten Gerichtsherrn unterstand. 
Nur in den Innungen und Kaufmannschaften trat wiederum das Laienelement herwor, 
aber hier nicht von der Volksversammlung ausgehend, sondern von der Genossenschaft des Berufs 
oder Standes aus. Bei uns ist heutzutage diese Idee vertreten in den Handelsgerichten; auch 
in den Gewerbe= und Kaufmannsgerichten und einigen anderen Sondergerichten, z. B. in den 
Gemeindegerichten, wie sie in Baden und Württemberg bestehen. 
Die Handelzgerichte aber sind in Italien entstanden 1, haben sich in Frankreich entwickelt? 
und sind in Deutschland heimisch geworden 2. Es waren ursprünglich Gerichte, die nur aus 
Kaufleuten bestanden. An manchen Orten hat man sie so gestaltet, daß ein Jurist als Vor- 
sitzender und daneben zwei Handelsrichter tätig sind, und dieses Prinzip befolgt auch die deutsche 
Gerichtsverfassung. 
Abgesehen von solchen Ausnahmen, sind die Gerichte (in monarchischen Staaten) aus 
der königlichen Gewalt hervorgegangene Gerichte; es sind Beamten-, keine Laiengerichte. Aber 
in einem Punkt ist man auf den früheren demokratischen Standpunkt zurückgekehrt. Während 
nämlich der frühere Gedanke dahin zielte, den König als höchsten Richter walten zu lassen, so daß 
die einzelnen Richter nur gleichsam die rechte Hand des Königs waren, ist seit dem 18. Jahr- 
hundert der Grundsatz aufgekommen, daß der König selber nicht Recht sprechen dürfe; es ist 
ein Grundsatz, der in der englischen Entwicklung wurzelt und der Selbständigkeit entspricht, 
die in England das Richtertum dem Könige gegenüber einnahm. Aus dem englischen Rechte 
und aus der Darstellung Lockes (Iwo treatises of government II ch. 12 5 143 ff.) hat 
Montesquien (Esprit des lois XI 0) die Theorie von den drei Gewalten geschaffen, die 
darin gipfelt, daß die drei Gewalten nicht in einer Hand verbunden sein sollen, und daraus ent- 
sprang der Satz, daß weder der König Recht sprechen dürfe noch auch solche Personen, die von 
dem König abhängig sind und den Weisungen der Regierung zu folgen haben 4. Dieser Grund- 
satz ist fast überall durchgedrungen, und so auch bei uns. Es gibt keine Kabinettsjustiz; die Richter, 
obgleich vom König ernannt, sind nicht Vertreter des Königs, sondern selbständige Organe des 
  
  
1 Zuerst als Gildengerichte, namentlich in Florenzj; so bereits in dem statutum campsorum 
v. 1299. Dann taten sich die fünf ersten Gilden zu einer Gemeinschaft, der mercanzia, zusammen, 
deren Gerichte durch die generalis balia v. 1308 einen staatlichen Charakter bekamen; Lastig, 
Entwicklungswege des Handelsrechts S. 258 f., 403 f. Über Handelsgerichte in der Lombardei 
vgl. Nosoromi a. 385 (Mon. hist. patr. XVI p. 232), über Zunftgerichte in Rom, Statuten 
1363 I1 127. 
: Zuerst als Marktgerichte; über ihre Geschichte vgl. Huvelin, Essai bistor. des marchés 
et foires p. 393 f.; als ständige Einrichtungen eingeführt durch Gesetz Karls IX. vom November 
1563; aufrechterhalten durch die Prozeßordnung vom April 1667, Titel XVI und durch die Handels- 
ordnung vom März 1673 Titel XII, sodann vom code de commerce a. 615 f. Über die einzelnen 
Städte vgl. Huvelin p. 411. 
* Vgl. namentlich die gute Schrift von Silberschmidt, Entstehung des deutschen 
Handelsgerichts (1894), vor allem bezüglich Nürnbergs S. 33 f. Das älteste Nürnberger Handels- 
gericht ist von 1622 (Silberschmidt in der Rhein. Z. III S. 162). Über die Handelsgerichte 
(Wettgerichte) in Königsberg vgl. Frommer, Anfänge und Entwicklung der Handelsgerichte in 
der Stadt Königsberg (1891). 
* Schon Locke a. a. O. spricht davon, daß es may be to great a temptation to human 
frailty, apt at grasp a power, for the same persons, who have the power of making laws, to 
have also in their hands the power to execute the.
	        
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