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auf die Besonderheit der höheren Instanztätigkeit zu erfolgen. Daher kann die Instanzordnung
nicht durch Parteivertrag beeinflußt werden. Anderseits rührt auch diese Ordnung nicht
so sehr an den Grundfesten des Prozesses, daß ihre Verletzung eine Nichtigkeit herbeiführte:
sie enthält keine Beschränkung der Gerichtsbarkeit.
9. Anderwärtige öffentliche Organe.
§ 25. Solche sind:
1. der Staatsanwalt, der nur in Familienprozessen tätig ist (§§607, 632, 640, 641), ins-
besondere auch in Entmündigungsprozessen, aber mit Unterschied, regelmäßig nur bei Ent-
mündigung wegen Geisteskrankheit und Geistesschwäche (§§. 652, 664, 666, 679, 684, 686 ZPO.).
Die Tätigkeit des Staatsanwalts ist meist die Tätigkeit als Gehilfe des Richters (S#§ 607, 640,
641, 652); mitunter hat er die Rolle einer Partei oder eines Intewenienten (§8§8 632, 664, 666,
679, 684, 686 Z PO.)1;
2. der Gerichtsvollzieher, der die Doppelstellung des Zustellungs= und Vollstreckungs-
beamten vereinigt. Er hat sich aus dem altdeutschen Fronboten (dem französischen sergent)
entwickelt und ist, wie der französische huissier ein selbständiger, allerdings unter Aussicht des
Gerichts handelnder Beamter (5§ 166 f., 753 f., 766, 808 f., 845, 883 f.). Er steht nicht in einem
privaten Verhältnis zur Partei; er handelt nur eben auf ihren Antrag: von einem Auftrags-,
Mandatsverhältnis ist keine Rede; man hat dies rein äußerlich geschlossen aus dem vieldeutigen
Ausdruck „Auftrag" (§ 753 f. ZPO.) oder aus Funktionen, welche das öffentliche Amt mit
dem Mandate äußerlich gemein hat.
3. Der Gerichtsdiener fungiert als Zustellungsbeamter nach § 211, 212 8PO.
II. Prozeßformen.
1. Mündliche Verfahren und Termine.
8 26. Die Parteitätigkeit wie die Untersuchungstätigkeit hat in einem Verfahren statt-
zufinden; das Verfahren entwickelt sich in bestimmten Zeiten, und zwar spinnt es sich meist ab
in Terminen 4, d. h. in Zeitpunkten oder kurzen Zeiträumen, die darauf angelegt sind, daß
mehrere beteiligte Personen zur gegenseitigen Aussprache und Vernehmung zusommentreffen.
Das gilt namentlich für die sogenannten Verhandlungstermine.
Die Parteitätigkeit wie die Tätigkeit der im Untersuchungsverfahren Beteiligten erfolgt
regelrecht durch mündliche Erklärung; dies gehört zu den Grundgedanken unseres Zivilprozesses.
Ein geregeltes System mündlicher Erklärungen, wobei jede Partei und jeder Parteigehilfe
sich äußern darf und die Außerungen zusammentreffen, wobei das Gericht, welches die Er-
klärungen vereint, einwirken und auf die Vollständigkeit und Deutlichkeit hinwirken kann, heißt
Verhandlung, und für die Verhandlung bestehen Verhandlungstermine.
Die Streitsache kann in einem Termin erledigt werden; ist dies nicht der Fall, so ist
ein Termin zur Fortsetzung des Verfahrens zu bestimmen, usw.; so können sich mehrere Ver-
fahrenstermine aneinanderreihen. Hier gilt nun der Grundsatz: in jedem folgenden Termin
–—.
1 In weiterem Maße findet sich die Staatsanwaltstätigkeit im französischen Prozeß; doch
hat sie auch dort an Wichtigkeit sehr abgenommen; vgl. Pacaud, Frais et lenteurs p. 229 f.
* Ebensowenig besteht ein solches Vertragsverhältnis zwischen der Partei und der Ver-
teilungsstelle, welche die „Aufträge“ entgegennimmt und unter die Gerichtsvollzieher verteilt.
RWG. 12. 4. 1912 Entsch. 79 S. 217.
* Wenn daher ein Gläubiger pfändet und der Gerichtsvollzieher davon weiß, daß der
Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat, so hat diese Kenntnis für den Gläubiger keine Be-
deutung und bewirkt keine mala kides, denn der Gerichtsvollzieher ist nicht sein Vertreter. Der
Gläubiger kann daher nicht aus diesem Grunde mit der Schuldanfechtung angegriffen werden,
RG. 15. 12. 1911 Leipziger Zeitschr. VI S. 320.
* Ich gebrauche den Ausdruck der Prozeßordnung. Es wäre wünschenswert, hierfür einen
volkstümlichen Ausdruck, wie Tagfahrt (süddeutsch) oder Tagsatzung (OÖsterreich) zu wählen.