292 J. Kohler.
Zweites Buch.
Der Prozeß als Partei- und als Untersuchungsprozeß.
I. Parteiverfahren als Kampfesverfahren.
A. Parteien und ihre Gehilfen.
§ 31. Der Parteiprozeß kennt zwei miteinander im Kampfe befindliche Parteien, den
Angreifenden und den Angegriffenen, den Kläger und den Beklagten. Der Prozeß ist ein
geistiger Zwei kampf:. Mehr Parteien kann es nicht geben, und wenn der Schein einer
größeren Mehrheit entsteht, so ist dies nur ein Schein, denn in der Tat sind mehrere Prozesse
miteinander verbunden: so bei der sogenannten aktiven und passiven Streitgenossenschaft: hier
sind es mehrere Prozesse, die äußerlich in Verbindung gebracht sind; wenn z. B. A und B
gegen X klagen, so werden zwei Prozesse (A gegen X und B gegen X) aus praktischen
Gründen äußerlich zusammengefügt.
Oder auch, es sind nur scheinbar mehrere Parteien vorhanden, in der Tat aber steht auf
der einen Seite eine Partei und neben ihr eine andere, ihr helfende Person (Intervenient,
streitgenössischer Intervenient). "
Die Stellung als Kläger und Beklagter ist eine innerlich verschiedene: die ungünstigste
Folge des Prozesses kann für den Kläger nur die sein, daß er abgewiesen wird; eine Verurteilung
des Klägers als Kläger ist nicht möglich; — von den Kosten ist hier abzusehen, denn der Kosten-
ersatz ist eine Folge der in dem Prozesse sich entwickelnden finanziellen Verhältnisse, welche
besonderen Regeln unterliegen.
Im gemeinen Recht glaubte man allerdings an sogenannte judicia duplicia. wo der
Kläger zu gleicher Zeit Beklagter sei und verurteilt werden könne. In der Tat liegen aber hier
stets zwei Prozesse vor, ein Klage- und ein Widerklageprozeß. So besonders bei Besitzklagen:
wenn der Kläger den Besitz behauptet und beansprucht, so kann auch der Beklagte den Besitz
behaupten und beanspruchen; tut er dies, so erhebt er eine Widerklage, und dann wird über
Klage und Widerklage zugleich entschieden. Wenn dann der Kläger verurteilt wird, so wird
er nicht in seiner Eigenschaft als Kläger verurteilt, sondern in seiner Eigenschaft als Wider-
beklagter, also in einem zweiten Prozeß, der mit dem ersten nur formell zusammenhängt.
Ahnlich verhält es sich bei den Teilungsklagen. Die Annahme der judicia duplicis beruhle
auf systematischer Verkehrtheit 2.
§ 32. Was im Kampfe begriffen, sind Rechte, Rechtslagen und Ansprüche. Meist ist
es so, daß der Anspruchberechtigte kämpfend auftritt. Dies ist auch bei den Ansprüchen ohne
Recht der Fall; so bei einer testamentarischen Auflage, wo gewisse gesetzlich bezeichnete Per-
sonen gegen den Belasteten auf Leistung der Auflage an den Auflagebegünstigten klagen
dürfen 3. "
Mitunter aber ist ein fremder Anspruch dem schützenden Kampfe eines Dritten preis-
gegeben. Dies ist allerdings eine Ausnahme; denn, selbst wenn die Person ihre Interessen nicht
selbst decken kann, wird dadurch geholfen, daß eine andere Person diese Person und erst mittelbar
ihre Interessen schirmt, so im Falle der Stellvertretung, in welchem der Vertreter die ganze Per-
sönlichkeit unter ihre Fittiche nimmt. Davon ist unser Fall verschieden, wenn jemand im
eigenen Rechtskreise bleibt, also im eigenen Namen handelt und doch einen fremden Anspruch
geltend macht. Das ist eine Ausnahme, beruhend auf der Besonderheit der Rechtsstellung. Man
spricht hier von Prozeßstandschaft. Eine solche hat der Ehemann beim gesetlichen Güter-
Bsl. darüber meine Abhandl. über die Philosophie des Zivilprozesses, Arch. f. Rechtsphil. VI,
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: Es ist daher auch sehr bezeichnend, daß im Röm. Recht bei Teilungsklagen ein zweifacher
Kalumnieneid zu leisten war und der Prokurator eine doppelte Kaution zu stellen hatte, fr. 44 § 4
fam. herc., fr. 15 + 1 de procurat. (die Schlußworte sind allerdings verdächtig).
* Archiv für bürgerliches Recht, XXI S. 259 f. (Zwölf Studien zum BG#. II S. 1f.)