Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

Zivilprozeß- und Konkursrecht. 295 
Dieser Gedanke ist von großer sozialer Bedeutung, denn er bewirkt, daß zusammen- 
hängende Verhältnisse zusammenhängend bleiben und daß nicht bezüglich des einen so, be- 
züglich des anderen anders entschieden werde. 
Darauf bauend, hat man folgendes gestaltet: man hat der Partei die Befugnisse 
gegeben, denjenigen, welchen sie in diese Lage zu versetzen wünscht, auch gegen seinen Willen 
in den Prozeß hineinzuziehen durch sogenannte Streitverkündung: ist der Streit verkündet, 
so muß er sich den Erfolg des Prozesses gefallen lassen, ob er eintritt oder nicht (§5 72 ff. 
3PO.). 
Voraussetzung ist, daß der Intewenient so frühzeitig eingetreten oder (bei der Streit- 
verkündung) daß ihm so frühzeitig der Streit verkündet worden ist, daß er nach diesem Zeitpunkte 
noch genügend in den Prozeß einwirken konnte, sowie daß ihm die Einwirkung auch nicht durch 
die widerstreitende Tätigkeit der Partei unmöglich gemacht worden ist (ss§ 68, 74 Z PO.). 
Dabei ist unsere PO. stehengeblieben; leider: sie hat die große Weiterbildung des germa- 
nischen Rechts nicht mitgemacht. Die ganze Einrichtung der Streitverkündung beruht auf 
germanischer, ja, indogermanischer Grundlage: es war alter Brauch, daß der Käufer, der mit 
der Vindikation belangt war, den Verkäufer heranzog, schon deshalb, um sich von der Dieb- 
stahlsbeschuldigung zu reinigen; dieser wurde Beklagter und führte den Prozeß zu Ende; mit 
dem Prozeß wurde zugleich das Verhältnis zwischen dem Beklagten und dem eingetretenen 
Streitverkündeten bereinigt. In späterer Zeit blieb der Beklagte Partei, und der Streitverkündete 
trat nur als Intervenient ein. In der gemeinrechtlichen Entwicklung fiel nun die Bereinigung 
zwischen Intervenienten und Beklagten aus dem Prozeß heraus: sie mußte im besonderen 
Prozeß erfolgen; aus einem Prozeß wurden zwei; und so auch die deutsche 8PO. Dagegen 
hat sich der germanische Gedanke im französisch-italienischen und englischen Recht erhalten: 
das erstere hat die assignation en garantie 2, die azione di garanzia, das englische Recht die 
third party notice 2. Auf diese Weise ist dem germanischen Satz von der sozialen Bedeutung 
des Prozesses eine neue Seite abgewonnen. Wir sind leider zurückgeblieben; denn es ist ein un- 
leidiges Verhältnis, wenn aus bloß doktrinären Gründen die Erledigung verzögert und aus 
einem Prozeß zwei gemacht werden. 
Eine besondere Art der Streitverkündung ist diejenige, welche man laudatio auctoris zu 
nennen pflegt, wenn der unmittelbare Nichteigenbesitzer, mit einer Vindikation belangt, dem 
mittelbaren Eigenbesitzer den Streit verkündet, damit er in den Prozeß eintrete, entweder als 
streitgenössischer Intervenient oder als Rechtsnachfolger in der Parteirolle (§ 76, vgl. auch § 77 
8PO.). Letzteres ist die Regel; daher ist hiervon später (S. 335) zu handeln. 
§ 34. Der Prozeßstandschaft verwandt ist der Prozeß mit künstlicher Parteibildung: eine 
alte, namentlich im kanonischen Recht viel benutzte Einrichtung, welche hier namentlich dazu 
diente, im Wege des Zivilprozesses Fragen festzustellen, die außerhalb der zivilrechtlichen An- 
sprüche lagen (z. B. Gültigkeit der Wahlen oder der Ernennung). Bei uns handelt es sich 
erstens um die Feststellung von Rechtslagen des Personenrechts, bei denen es an der Zwei- 
heit der Parteistellung fehlt. So im landgerichtlichen Prozeß über Anfechtung oder Auf- 
hebung der Entmündigung (§§ 664 f., 769 f., 684 f., 686 ZPO.): wenn der durch Gerichts- 
beschluß Entmündigte gegen den Staatsanwalt klagt auf Feststellung, daß die Voraussetzungen 
der Entmündigung nicht gegeben sind, so wird der Staatsanwalt künstlich vorgeschoben, damit 
überhaupt ein defensor vorhanden ist, dem gegenüber der Feststellungsprozeß stattfindet. Von 
dem Fall der Prozeßstandschaft unterscheidet sich dies dadurch: bei der Prozeßstandschaft 
wird ein Anspruch zwischen A und B vorausgesetzt, bei welchem aber C an Stelle des A 
als Prozeßpartei auftritt; in unserem Falle besteht überhaupt kein Anspruch, sondern nur ein 
Feststellungsinteresse: soll dieses im Wege des Parteiprozesses befriedigt werden, so muß man 
1 Dies ist die logische Entwicklung. Geschichtlich hat sich die Sache anders gestaltet, wie sich 
dies sofort ergeben wird. 
* So schon das altfranzösische Recht, so die Coustumes de Champaigne et Brie a. 36 
Bourdot de Richebourg III p. 215), so die Coutumes notoires du chftelet von Paris a. 67 und 
Jean des Mares a. 140 (in Brodeau, Cout. de Paris, II p. 538, 576) u. a. 
* Rules of the Sup. Court Ordre XVI r. 50, 51, Chitt yp. 211f.
	        
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