Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

Zivilprozeß- und Konkursrecht. 313 
des Prozeßverhältnisses, das ohne sie nicht oder nicht in dieser Weise vor sich ginge. Solche 
Anträge sind z. B. Anträge auf Verlegung des Termins, auf Aussetzung des Verfahrens, 
auf Zwangsmaßregeln. Auch das Vorbringen von Tatsachen und Beweisen 
ist Rechtshandlung, denn die Tatsachen und Beweise werden dadurch dem Richter als Richter 
unterbreitet, so daß daraufhin richterliche Rechte und Pflichten erwachsen. 
2. Prozeßhandlungen der Parteien. 
a) Vorbringen von Tatsachen. 
) Tatsachenstoff im allgemeinen. 
§54. Da der Richter im Vermögensprozeß nur in beschränktem Maße den Verhandlungs- 
stoff herbeischaffen kann, so ist es Sache der Parteien, das nötige Tatsachenmaterial zu bringen, 
d. h. alle Tatsachen zu behaupten, welche für das Sein oder Nichtsein des Anspruchs von Be- 
deutung sind. Diese Umstände, welche für das Recht sprechen, werden meistens rechtsbegründende 
Umstände sein; denn da das Entstehen regelmäßig auf äußerlichen geschichtlichen Tatsachen 
beruht, die sich beweisen lassen, so ist der Beweis des Ent stehens die normale Art, um das 
Bestehen des Rechts darzutun: das Recht an sich ist ja etwas Geistiges, sein Bestehen in der Welt 
geistiger Beziehungen kann darum vielfach nicht anders dargetan werden als durch den Beweis 
der Vorgänge, welche dieses Geistige hervorgerufen haben. Doch ist dies nicht ausschließlich. 
Der Beweis des Eigentums z. B. kann auch ohne den Beweis seiner Entstehung geführt werden, 
wenn so viele Umstände beigebracht werden, daß der Richter die Überzeugung erlangt, daß viel 
eher das Bestehen als das Nichtbestehen des Eigentums anzunehmen ist, weil beispielsweise 
die ganze Welt den Betreffenden als Eigentümer schalten und walten ließ, auch diejenigen, die 
sonst reichliche Veranlassung hätten, es zu verbieten. So haben auch schon die Römer gedacht. 
Wenn man daher von einem diabolischen Beweise des Eigentumserwerbs hat sprechen wollen, 
weil ja der Erwerber auf seinen Veräußerer und dieser wieder auf seinen Vorgänger und so 
in infinitum zurückgehen müsse, bis etwa die Ersitzung zu Hilfe komme, so beruht dies auf der 
schulmeisterlichen Art, wie man die ganze Sache auffaßte. Ist jemand lange Zeit überall als 
Eigentümer anerkannt worden, und kann der andere nichts Bedeutungsvolles dagegen vor- 
bringen, so wird jeder vemünftige Mensch an das Eigentum des ersteren glauben, und so 
natürlich auch der Richter. Immerhin ist der Beweis der Entstehung die wichtigste und 
gründlichste Form, wie man der Sache beikommen kann: während der andere Beweis nur auf 
Vermutung beruht, steht dieser vollkommen aus dem Boden der Sicherheit. 
Mit der Entstehung des Rechts aber ist die Sache nicht immer abgetan, denn das best- 
entstandene Recht kann auch untergehen. Man könnte daher annehmen, daß zu dem Vorbringen 
des Bestehens des Rechts die nähere Ausführung der Umstände hinzukommen müsse, die 
dafür sprechen, daß das entstandene Recht noch weiter lebe. Allein dies wäre wieder eine 
völlig schulmeisterliche und dem Leben widersprechende Behandlung; denn jedermann nimmt, 
wenn es sich nicht um kurzlebige Dinge handelt, eine Fortdauer an, bis ein Grund der Beendigung 
dargetan wird. Bei kurzlebigen Dingen ist es allerdings anders: wenn nachgewiesen wird, 
daß 4& einen Nießbrauch erworben hat, so wird man nicht annehmen, daß dieser in 150 Jahren 
noch bestehe; denn kein Richter wird ein Patriarchenalter als Lebenszeit unterstellen. Allein 
derartige Dinge bilden die Ausnahme. 
Daraus ergibt sich von selbst die Regel, daß man vom Kläger mehr das Vorbringen der- 
jenigen Tatsachen erwartet, welche das dem Anspruch zugrunde liegende Recht zur Entstehung 
gebracht haben, vom Beklagten mehr die Angabe der Tatsachen, welche dieses erworbene Recht 
zum Erlöschen brachten. Aber vollkommen unrichtig und verkehrt ist die Vorstellung, das Vor- 
bringen der ersten Tatsachen sei nur Sache des Klägers, das der anderen nur Sache des Be- 
klagten. Eine jede Partei ist verpflichtet zur prozessualen Ehrlichkeit, und dazu gehört, daß der 
Kläger nicht mehr auf ein entstandenes Recht pocht, wenn er weiß, daß das Recht durch spätere 
Umstände untergegangen ist: es steht ihm nicht zu, die letzteren zu verschweigen; nur wenn er 
annimmt, daß solche Aufhebungstatsachen bloß scheinhafter Natur sind, wird man es ihm ge- 
statten können, sie entweder ganz unberührt zu lassen oder sie sofort als scheinbar hinzustellen.
	        
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