Zivilprozeß- und Konkursrecht. 315
Regelmäßig hatte bei Schuldklagen der Beklagte die Befugnis, sich mit dem Eide (mit
oder ohne Eideshelfer) zu befreien. Allmählich erlangte der Gläubiger die Befugnis, wenn
er mit Zeugen den Beklagten überführen konnte, ihm den Eid zu „verlegen“, und so entstand das
noch im sächsischen Prozeß sich findende Wahlrecht des Klägers zwischen Beweis und Eides-
zuschiebung. Wenn aber der Beklagte, anstatt einfach zu leugnen, eine befreiende oder an-
spruchhindernde Tatsache brachte, so hatte der Kläger sie mit seinem Eide zu entfermen, sofern
sic der Beklagte nicht seinerscits mit Zeugen belegte.
Das deutsche Recht sprach darum von einem Eidesrecht, d. h. von einem Rechte, eine
Schuld oder eine Tatsache eidlich ableugnen zu dürfen. Allmählich trat dieser Gedanke in den
Hintergrund; die Verlegung des Eides durch Beweismittel galt nun als das Wichtigere, und
der Gedanke war jetzt: wenn der Behauptende den Eid nicht durch solche Beweismittel ver-
legen kann, dann wird er vom Eide des Gegners überwältigt; er muß also derartige Beweismittel
bringen, sonst unterliegt er dem Eide. Man sprach daher nicht mehr von dem (selbstverständ-
lichen) Beweisrecht oder Eidesrecht des Gegners, sondern von der Beweislast des Beweisführers;
man sprach von einer Beweislast des Klägers, soweit es sich um das Entstehen der Schuld handelte,
und ebenso sprach man von einer Beweislast der Beklagten, soweit eine befreiende Tatsache
in Frage stand. So entstand die Lehre von der Beweislast. In diesem Stande findet sich die
Sache auch im römischen Recht, welches nach der ganzen Art seiner Entwicklung die Stufe des
Gottesrechts und des Beweisrechts längst überwunden hatte und den Satz aussprach: Ei incumbit
probatio, qui dicit, non qui negat und: necessitas probandi incumbit üli, qui agit, fr. 2 und
21 de probat. Und auch im mittelalterlichen deutschen Recht gewann diese Fassung eine um
so größere Bedeutung, als der Unschuldseid abkam und die Eideszuschiebung, welche nichts
anderes gewesen war als die Anrufung des Unschuldseides, eine andere Gestaltung annahm.
Die Beweislast hatte eine sehr erhebliche Bedeutung in der Zeit, als der Beweis, ob-
gleich er aufgehört hatte, Gottesbeweis zu sein, noch gesetzlicher Beweis war. Mit dem Augen-
blick aber, wo die freie richterliche Beweiswürdigung eintrat, war die Herrschaft der Beweis-
last zu Ende, oder sie sollte mindestens zu Ende sein; daß man der Beweislast immer noch Be-
deutung beimißt, beruht darauf, daß selbst nach über drei Jahrzehnten der deutschen 3PO.
vielen Juristen das veraltete Recht noch in den Gliedern steckt.
Aus den Zeiten des gesetzlichen Beweisrechts stammt der Satz, daß die Beweislast der
oben angeführten Einteilung der Tatsachen entspreche; man nahm an: der Kläger habe die
Klagetatsachen, der Beklagte die befreienden und hindernden Tatsachen zu beweisen. Die Be-
weislast aber bedeutete früher: wenn der Beweis nicht geführt wird, so kommt es zum Eide
des Gegners; jetzt sagt man: wenn der Beweis nicht geführt wird, so wird angenommen, die
zu beweisenden Tatsachen seien nicht vorhanden; denn der Eid des Gegners in der alten Form
ist weggefallen. Man sagt also: wenn der Kläger eine anspruchbegründende Tatsache nicht
beweisen kann, so gilt diese als nicht vorhanden, sein Anspruch gilt als nicht gegeben, und er
verliert den Prozeß; wenn dagegen der Beklagte eine hindernde oder befreiende Tatsache nicht
zu beweisen vermag, dann wird diese Tatsache als nicht vorhanden betrachtet, und die Klage-
tatsachen führenden Kläger zum Ziel.
In unseren Zeiten, wo der Beweis ein richterlicher ist und lediglich auf die Überzeugung
des Richters geht, ist die Bedeutung der Beweislast gleich Null; sie wird heute nur noch
durch das formale System der Eideszuschiebung aufrechterhalten, weil der Beweispflichtige
vom Gegner den Eid verlangen (ihm den Eid zuschieben) kann, worauf der Gegner den Eid
leistet oder zurückschiebt: bei diesem System entscheidet also die Beweislast über die Eidespflicht;
doch hat man auch hier in höchstem Mißverständnis des neuzeitigen Rechts ihre Bedeutung erheb-
lich übertrieben; denn da der Richter stets einen richterlichen Eid auferlegen kann ohne Rücksicht
auf die Beweislast und ohne Rücksicht auf einen etwaigen zugeschobenen Eid, so kann auch hier
ein verständiges Walten des Richters sich über die ganze Lehre der Beweislast hinwegsetzen.
Läßt man aber noch gar, was nur eine Frage der Zeit ist, die Eideszuschiebung fallen, und geht
man zum Grundsatz des einfachen richterlichen Eides über, so ist von Beweislast keine Rede
mehr; sie könnte nur in Betracht kommen, wenn gar kein Beweis geführt wird, so daß die richter-
liche Uberzeugung in keiner Weise weder für noch dagegen begründet wird: dieser Fall kann
aber bei einem Richter, der das Leben versteht und die Beweiswürdigung nicht in der alten