Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

318 J. Kohler. 
e) Tatsächliche Einwirkungen. 
§ 59. Rechtsausführungen können für den Richter bedeutungsvoll sein, sie haben aber nur 
den Charakter von tatsächlichen, nicht von Rechtshandlungen: wesentlich ist, daß der Richter die 
richtige Rechtsauffassung erlangt; von welcher Seite er sie hat und durch welche Umstände, kommt 
nicht in Betracht. 
3. Prozeßhandlungen des Gerichts. 
a) Allgemeines. 
8 60. Die Tätigkeit des Gerichts ist ebenfalls teilweise eine tatsächliche, teilweise eine 
rechtliche. Nur tatsächlich ist z. B. die ganze Prüsung der Rechtssätze durch den Richter; denn ob 
sie geschicht oder nicht geschieht — das Urteil besteht zu Recht; tatsächlich ist die Anspannung 
der Geisteskräfte, um nichts zu übersehen und um das Mitgeteilte richtig zu gruppieren und 
unter die richtigen juristischen Gesichtspunkte zu bringen: daß der Richter diese Tätigkeiten richtig 
vollzieht, ist natürlich eine Lebensfrage der Justiz; allein für die Rechtsbeständigkeit des Urteils 
ist es ohne Bedeutung, ob der Richter eine solche geistige Tätigkeit richtig oder unrichtig vor- 
nimmt: das Urteil hat in beiden Fällen denselben rechtlichen Charakter, es hat dieselbe recht- 
liche Bedeutung, auch wenn der Richter bei der Verhandlung innerlich geschlafen hat oder geistes- 
abwesend war. Rechtshandlung aber ist vor allem die Beschlußtätigkeit: der Richter beschließt: 
der Beschluß ist Verordnung oder Entscheidung. Der Richter verordnet, d. h. 
er bestimmt den Fortgang des Prozesses, und er tut dies auch ohne Antrag der Parteien; er 
tut dies auch, wenn alle Teile übereinstimmen: die Verordnung ist daher keine Entscheidung. 
Entscheidung dagegen liegt vor, wenn eine Verschiedenheit entweder zwischen den Anträgen 
beider Parteien oder zwischen Richter und Parteien obwaltet: möglicherweise beschließt der 
Richter im Widerspruch mit den übereinstimmenden Anträgen beider Parteien. 
Die Verordnungen des Gerichts heißen Verfügungen oder Beschlüsse, 
Verfügungen dann, wenn sie von dem Vorsitzenden oder beauftragten Richter eines Mehrheits- 
gerichts ausgehen (S§s 329 cf. 226 ZPO.). Die Entscheidungen des Gerichts heißen 
nie Verfügungen, sondern stets Beschlüsse oder Urteilez; letztere haben verschiedene 
Eigentümlichkeiten: sie können bei einem Mehrheitsgericht niemals vom beauftragten Richter, 
sondern stets nur von der Kammer oder dem Senate ausgehen; sie können immer nur ergehen 
im Anschluß an eine mündliche Verhandlung: in den Fällen also, wo ohne mündliche Verhand- 
lung erkannt wird, können niemals Urteile, sondern nur Beschlüsse erfolgen. 
Die Beschlüsse in der mündlichen Verhandlung werden verkündet und entstehen mit der 
Verkündung durch den Vorsitzenden; die Beschlüsse im schriftlichen Verfahren werden zugestellt 
und entstehen mit der Zustellung (§§F 136, 329 ZPO.). 
Die Urteile werden also stets auf Grund mündlicher Verhandlung verkündet; die Ver- 
kündung erfolgt durch den Vorsitzenden (§ 136). Sie soll regelmäßig geschehen durch Vor- 
lesung von einer schriftlichen Niedersetzung des Urteilssatzes, des sogenannten Tenors (5 311 
ZPO.), wie man in Rom sagte: de periculo. 
Obgleich das Urteil mit der Verkündung in unantastbarer Weise besteht (§ 318), so soll 
es doch noch schriftlich niedergesetzt werden, und es soll von sämtlichen urteilsprechenden Richterm 
unterzeichnet werden (§ 315 3PO.); es soll neben dem Urteilstenor die Personen der Parteien 
und ihrer Prozeßbevollmächtigten, das Gericht und die Richter bezeichnen und die Entscheidungs- 
gründe (S. 345) und den oben (S. 286) erwähnten Tatbestand enthalten (§ 313 8PO.). 
Dies galt früher durchaus; für gewisse Urteile war eine Vereinfachung dringend notwendig; 
sie ist jetzt gestattet, für Anerkennungs= und Versäumnisurteile, wo Tatbestand, Entscheidungs- 
gründe, Angabe der Richter weggelassen werden kann, und auch bei der Aussetzung amts- 
gerichtlicher Urteile bleibt regelmäßig Tatbestand und Entscheidungsgründe weg (§ 490). 
b) Beweiserhebung. 
a) Charakteristik. 
§ 61. Der Beweis war lange Zeit Gottesbeweis, so daß die Uberzeugung des Richters 
nicht in Betracht kam: nicht er, sondern die Gottheit entschied über die Wahrheit oder Unwahr- 
heit. Aus dieser Zeit, die noch tief in das germanische Mittelalter hineinragt, hat sich das System
	        
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