Zivilprozeß- und Konkursrecht. 323
keit kann eine Zuverlässigkeit nach der intellektuellen und nach der Willensseite sein. Ein Zwie-
spalt zwischen Wahrnehmung und Zeugenaussage kann darauf beruhen, daß der Zeuge sich
nicht mehr genau erinnert und daher wider Wissen etwas Mangelhaftes oder gar etwas ganz
Falsches angibt: das kommt öfter vor, als man glaubt, und es ist eine wesentliche Aufgabe
des Richters, durch seelische Prüfung der Aussagen diesen Widerstreit auszugleichen; denn die
Eindrücke des Zeugen verwischen sich nicht bloß, sondern sie vermischen sich auch mit anderen
und nehmen im Geiste allmählich eine ganz andere Kennzeichnung an: in solchem Falle stets
an bewußte Unwahrheit denken zu wollen, wäre im höchsten Maße verkehrt 1.
Die Zuverlässigkeit hängt aber allerdings auch davon ab, daß der Zeuge die Wahrheit
sagen will, daß er dasjenige — dieses aber vollständig — angeben will, was er wahrgenommen
hat; auch davon, daß der Zeuge sein Gedächtnis scharf zu Rate zieht, sich gründlich erforscht und
nötigenfalls auf die Hilfsmittel zurückgeht, welche sein Gedächtnis unterstützen können. Dies
ist die Zuverlässigkeit nach der Willensseite. Zur Steigerung der Zuverlässigkeit in diesem Sinne
hat man die Beeidigung des Zeugen eingeführt. Über den Ursprung des Eides ist in der Rechts-
philosophie gehandelt worden (1 S. 61). Heutzutage ist er eine feierliche Beteuerung, deren
Verletzung schwere Strafe nach sich zieht. 1
Der Eid des Zeugen war bisher regelmäßig ein Voreid; nach der Prozeßnovelle ist er zum
Nacheid geworden (5 392): mit Recht; es ist überflüssig, daß sich der Eid auf unerhebliche Dinge
bezieht; was erheblich und unerheblich ist, kann sich aber erst nach der Aussage ergeben. Auch
wird der Zeuge unbefangener aussagen, wenn er sich zuerst ohne Eid erklärt, worauf man ihn
dann auf die Punkte aufmerksam macht, auf die es ankommt, und die er noch besonders über-
denken möge.
Gewisse Personen sind unbeeidigt zu vernehmen; bei anderen ist die Beeidigung dem
Ermessen des Gerichts anheimgestellt; mit Ubereinstimmung beider Teile fällt in Vermögens-
prozessen die Beeidigung weg (§8 391 ff., 617 8PO.). Bei Wiederholung der Aussage im gleichen
Prozeß genügt die Berufung auf den früheren Eid (wobei das RG. irrig annimmt, dies
gelte nur bei Gleichheit des Beweisthemas, Bd. 48 S. 387).
Der Sachverständigenbeweis ist insbesondere im kanonischen Recht für ge-
wisse heikle Gegenstände entwickelt worden; er hat beim Fortschritt unserer Technik immer größere
Bedeutung angenommen. Eine Menge von Fragen ist heutzutage der naturwissenschaftlichen
Sachkunde zugänglich, an denen sich das Mittelalter vergeblich versuchte. Gewisse Arten von
Sachverständigen: der chemische Sachverständige, der Gerichtsarzt, der Dolmetsch, der Gerichts-
schätzer sind besonders hervorzuheben; derartige Personen pflegen bei Gericht im allgemeinen
bestellt zu sein: regelrecht sind sie bei Sachverständigenfragen heranzuziehen, nur aus besonderen
Gründen durch andere Sachverständige zu ersetzen.
Auch bei den Sachverständigen kommt die Beweiskraft und die Zuverlässigkeit in Betracht;
die Beweiskraft je nach der Art, wie sich die durch Sachkunde gefundene Tatsache zu der Beweis-
tatsache verhält: sie kann mit ihr identisch sein, so, wenn sich die Sachverständigen über die Probe-
mäßigkeit der Ware zu äußern haben; sie kann ein loses Indizium bilden, so, wenn der Sach-
verständige aus den Spuren an den Schuhen sich über die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit
der Anwesenheit an einem bestimmten Orte äußern soll, aus welcher Anwesenheit erst noch
Schlüsse auf das Verhalten bei der Tat gezogen werden können. Auch hier kann die größere
oder geringere Sicherheit in Betracht kommen, mit welcher die wissenschaftliche Beobachtung
ihre Schlüsse zieht. Im übrigen gilt über die Beweiskraft und die Zuverlässigkeit das über die
Zeugen Ausgeführte. Die Sachverständigen werden daher auch beeidigt; der Eid war früher
stets ein Voreid; heutzutage kann er Vor= oder Nacheid sein (§ 410 8PO.). Auf die Beeidigung
können die Parteien in Vermögenssachen verzichten (ausgenommen im Falle des gerichtlichen
Dolmetschers, § 191 GV.).
Der Unterschied zwischen Sachverständigen und Zeugen liegt darin, daß die Sachverständigen
verpflichtet sind, für den Zweck des Prozesses eine technische Untersuchung zu machen —, nicht
notwendig eine Untersuchung mit der Hand, sondern möglicherweise eine rein geistige Er-
forschung, — auf Grund der ihnen vorgetragenen Tatsachen, z. B. auf Grund der Beschreibung
Moderne Rechtsprobleme (2. Aufl.) S. 74 f.
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