Zivilprozeß- und Konkursrecht. 325
beruht. Der römische Prozeß hat in der klassischen Zeit unsere Eideszuschiebungen gar nicht
gekannt; er kannte nur ein sogenanntes iusiurandum in iure, welches einen ganz anderen Sinn
hatte: die Entscheidung, die an den Richtergeschworenen gekommen wäre, sollte an die Gegen-
partei kommen, die man gleichsam als Richter in der eigenen Sache aufstellte, so daß man einen
eidlichen Richterausspruch von ihr begehrte: sie hatte zu schwören, daß sie die Rechtssache mit
allen Treuen erledigen, ihren Ausspruch mit Gewissenhaftigkeit geben werde. War die Sache
aber bereits an den Zivilgeschworenen gekommen, dann war von einer derartigen Eideszuschiebung
nicht mehr die Rede, sondern der Richter konnte jeder der Parteien einen Eid auferlegen, soweit
er dies für die Bildung seiner Uberzeugung für förderlich erachtete. Justinian hat allerdings, wie
es eben seine Zeit tat, beides miteinander vermischt (c. 12 de reb. cred. et de iurei. 4, 1), und
daraus hatsich das gemeinrechtliche Verfahren entwickelt, wonach der eine Teil, nämlich der Beweis-
pflichtige, über Beweistatsachen vom anderen Teil den Eid verlangen könne: leiste er ihn, so sei
die behauptete Tatsache damit abgeschworen, sie gelte als nicht vorhanden; leiste er ihn nicht, so
sei die Tatsache erwiesen 1. Hierbei gestattete man es dem Delaten (dem der Eid zugeschoben war),
unter bestimmten Umständen den Eid an den Beweispflichtigen zurückzuschieben (zu referieren)
mit der Wirkung, daß dieser zu schwören habe, ansonst das Gegenteil der Tatsache feststehe.
Diese ganz veraltete und verfehlte Ausgeburt justinianischer Weisheit ist mehr oder minder
in das gemeine Recht übergegangen. Das kanonische Recht allerdings wurde wenig dadurch
beeinflußt: hatte es ja doch seine eigenen Prozeßeide, und diese genügten; daneben noch richter-
liche Parteieide zuzulassen, wäre ein unerhörter Eidesluxus gewesen. Als man aber diese Prozeß-
eide aufgab, trat das Gespenst des justinianeischen Verfahrens wieder in die Wirklichkeit. Ihm
kam der Brauch des germanischen Verfahrens entgegen, der sich aus der Zeit des alten Un-
schuldseides erhalten hatte, wo der Kläger die Wahl hatte, entweder Beweise zu bringen oder
es auf den Unschuldseid des Beklagten ankommen zu lassen 2. Der Kläger, der keine Beweise
brachte, erklärte nun eben, daß er die Sache dem Unschuldseid des Beklagten überlasse, und
diese Erklärung floß mit der Eideszuschiebung in eins zusammen 3. Und so entwickelte sich in
Deutschland ebenso wie in romanischen Ländern das ganz verkehrte System der Eideszuschiebung,
wonach der Beweispflichtige von dem Gegner den Eid über eine Tatsache verlangen konnte,
mit der Wirkung, daß, wenn er ihn schwor, die Tatsache als nicht vorhanden galt, wenn er den
Eid aber nicht leistete, umgekehrt das Vorhandensein der Tatsache angenommen wurde. Dazu
kam das justinianeische System der Eideszurückschiebung, wonach der, der schwören sollte,
umgekehrt den Schwur zurückschieben, d. h. den Eid von dem Eideszuschiebenden verlangen
konnte. Dieses System wurde noch um so verkehrter, als man die Frage über die Wahrheit
oder Unwahrheit einer Tatsache nicht vor dem Urteil erledigte, sondern die ganze Sache un-
entschieden in das Urteil hineinnahm. Hier spielte der Gedanke des germanischen Beweisurteils
mit. Das Eidesurteil war ja eine Art Beweisurteil: man gab das Endurteil in bedingter Weise,
indem man sagte, daß je nach Leistung oder Verweigerung des Eides die oder jene Folge ein-
treten solle — ein System, so formalistisch und sachwidrig als möglich, namentlich auch ein System,
welches es völlig unmöglich macht, in solchem Falle zu vorläufig vollstreckbaren Urteilen in erster
Instanz zu gelangen. Im wesentlichen ist es in die deutsche 8PO. I#§ 445 ff., 460 ff. über-
gegangen?. 5. Nur in Ausnahmefällen kann der Eid durch Beweisbeschluß auferlegt werden
1 Ugl. 2 emelius, Schieds= und Beweiseid S. 9 f., 85 f., 131 f.
* In den italienischen Statuten findet sich vielfach die Eideszuschiebung, auch mit Zurück-
schiebung z. B. Como (1281) a. 297; Chianciano (1287) a. 47: Teramo (1440) II 5.
Beispiele von Eidesurteilen v. 1143, 1149 aus Lodi: Cod. Laudens. 1 112, 136; Fälle, wo den
Reußemund der Partei zusammen (in germanischer Weise) der Eid auferlegt wurde, v. 1147, 1151
4
W R Gerichtsordnung 1622, XVIII 35 1 f.; auch schon Sächsische Konstitutionen
1572, 1 a
*Pot zf ie r, traité des obligat. nr. 818f.
Wie lomplizlert die Sache wird, zeigt sich darin, daß das Gericht nicht in der Lage ist, etwa
nur die eine Alternative zu entscheiden und für die andere einen Beweisbeschluß vorzubehalten,
vgl. Oberst. LG. München 27. Febr. 1886, Bl. f. Rechtsanw. 51 S. 204. Komplikationen treten
auch ein, wenn der Eidespflichtige stirbt, 471 B8PO., oder wenn der Eid aus Versehen einer un-
richtigen Person auferlegt wurde, was besonders bei Gesellschaften, Firmen usw. vorkommen
kann, OLG. Hamburg 16. 11. 1911 Mugdan XXV S.