326 J. Kohler.
(§ 461); mit diesen Ausnahmefällen hat man aber recht gekargt 1, und man hat gesagt: eine un-
rechtmäßig durch Beweisbeschluß auferlegter Eid soll unberücksichtigt bleiben; höchstens kommt
die Heilung der Unregelmäßigkeit kraft § 295 hier in Betracht 2.
Dem allem könnte das Gericht durch folgendes abhelfen: das Gericht hat nämlich nach
der 3 PO. das Recht, einen richterlichen Eid aufzuerlegen; es kann dies ohne weiteres tun. Es
ist eine aus dem römischen Rechte hervorgehende allgemeine Befugnis, und zwar hat der Richter
die Wahl, diesen Eid der einen oder der anderen Partei aufzuerlegen. Er kann dies heutzutage
auch ohne jede Beweiserhebung tun?; er kann es auch tun im Falle der Eideszuschiebung:
denn sobald er erklärt, daß er in einem solchen richterlich auferlegten Eide seine Uberzeugung
finden werde, braucht er auf die Beweismittel der Parteien, auch auf die Eideszuschiebung, nicht
weiter Rücksicht zu nehmen. Dieses Institut hätte somit zu der eidlichen Vernehmung der
Parteien führen und das richtige Ziel erreichen können. Allein, es ist mit einer merkwürdigen
Unvollkommenheit behaftet, welche jede gedeihliche Entwicklung verhindert hat: der Richter soll
nämlich einen solchen Eid niemals vor dem Urteil auferlegen, sondern immer nur durch bedingtes
End= oder Zwischenurteil (§ 477 B8PO.)“". Dadurch ist der ganzen Einrichtung die Lebens-
kraft genommen; insbesondere tritt auch hier der Formalismus ein: der Richter muß die Eides-
fassung ganz genau bestimmen und kann nicht in die Sache näher eindringen, die Partei nach
dem Grunde ihrer Kenntnis fragen und auf solche Weise dem Eid einen tieferen Inhalt ver-
leihen. Auch ist der Richter formell an das Ergebnis gebunden; denn bei einem bedingten Urteil
kann man nicht erklären, die Leistung oder Verweigerung des Eides solle nach der Überzeugung
des Richters wirken, sondern man kann nur bestimmen, daß im einen Falle diese, im anderen
Falle jene Rechtsfolge eintreten, im einen Falle die Wahrheit, im anderen die Unwahrheit der
Tatsache angenommen werden solle 5.
Das ist der Formalismus, unter dem noch unser heutiges Recht zu leiden hat .
Man hat gegen das System der freien Eideserhebung manches geltend gemacht; man
hat gesagt, die Partei könne nicht als Zeuge in eigener Sache befragt werden; — doch warum
braucht man diese Eidesleistung Zeugnis zu nennen? Man hat gesagt, die Partei sei nicht ver-
pflichtet, dem Richter Auskunft zu geben; — völlig unrichtig: allerdings, ein unmittelbares
Zwangsmittel gibt es nicht, ebensowenig wie es (regelmäßig) einen Zwang zum Erscheinen
der Parteien gibt; allein dem Richter steht es anheim, dem Tun oder Nichttun die Bedeutung
zuzuschreiben, die eben seiner richterlichen Überzeugung entspricht: es ist Sache der Partei,
das Nötige zur Aufklärung zu tun, und wenn ihr widerspenstiges Wesen ihr Schaden bringt,
so ist es ihre Schuld. Man hat auch entgegnet, es sei doch zutreffender, eine kurze Eidesformel
im Urteil zu fassen, damit die Partei ganz genau wisse, was sie zu beschwören habe, als eine
ausführliche Vemehmung zu beeidigen. Allein, dies ist völlig verkehrt: es ist viel leichter, eine
umständliche Rede zu beschwören als einen in ein oder zwei Sätze gefaßten Auszug: alles, was
wir zu sagen haben, ist mit so vielen Umständlichkeiten und Zweifeln verbunden, hängt mit so
vielen beschränkenden und erweiternden Bemerkungen zusammen, daß man der Partei-
obliegenheit durch eine nach allen Seiten hin dringende Beleuchtung der Sache besser ent-
sprechen kann, als dadurch, daß man einen Auszug aus dem Ganzen beschwört: man beschwört
hiermit leicht zu viel oder zu wenig, und jedenfalls ist es eine furchtbare Gewissensnötigung
für die Partei, in einem solchen Falle einen Eid zu leisten. Man nehme nur eine wissenschaft-
1 Nach § 461 kann der Eid durch Beweisbeschluß auferlegt werden, wenn cs sich um einzelne
Angriffs= oder Verteidigungsmittel handelt. Hier hat man nun erkannt: die Widerklage ist kein
Verteidigungsmittel, läßt daher einen Beweisbeschlußeid nicht zu, RG. 9. 5. 1911 JW. 40 S. 657.
* Vgl. R. 20. 2. 1911 JW. 40 S. 489.
* Der richterliche Eid setzt nicht voraus, daß ein teilweiser Beweis geliefert ist, RG. 5. 1.
1910 Hess. Rechtspr. XIII S. 50.
* Im Fall des § 99 Abs. 3 ZPO. auch durch den urteilsartigen Beschluß des Beschwerde-
gerichts, RG. 28. Dez. 1901, Entsch. 50 S. 368. Vgl. auch Zeitschr. f. Zivilprozeß XXIX S. 507 ff.
* Daher können im Läuterungsverfahren keine weiteren Fragen berücksichtigt werden, z. B.
nicht die Frage des unterdessen eingetretenen Vergleichs, OLG. Stuttgart 9. 5. 1911.
* Daher nimmt auch das R. an, daß bei einer Mehrheit von Parteien dem 4A kein richter-
licher Eid auferlegt werden kann, der nur für B oder C von Bedeutung ist, R. 27. 5. 1911
Entsch. 76 S. 319.