Zivilprozeß- und Konkursrecht. 341
Die Irrtümer bestanden namentlich in folgendem: 1. man nahm auch in Fällen, wo eine
Nichtigkeit von Amts wegen unumgänglich ist, z. B. mangels der Gerichtsbarkeit, an, daß die
Nichtigkeitsklage erhoben werden müsse; 2. man verwechselte die Fälle des nichtigen Urteils
mit den Fällen des unrichtigen Urteils, indem man gewisse grobe Fehler des Verfahrens
als Nichtigkeitsgründe behandelte, was, wie bereits bemerkt, gegen die Grundgedanken des
Zivilprozesses verstößt 1. Beide Fehler hat die 8PO. vermieden. Im ersteren Falle gibt sie
überhaupt kein besonderes Abhilfsmittel, und was den zweiten betrifft, so spricht sie mit
Recht bei der Nichtigkeitsklage nicht von irgendwelchen Mängeln des Verfahrens, sondem
nur von gewissen Mängeln der Prozeßvoraussetzungen.
8. Rechtsverhältnis im Arteil.
I. Entscheidungskraft.
1. Urteilsvoraussetgungen.
8 72 Im Gegensatz zu allen anderen Rechtshandlungen des Gerichts steht die Fällung
des Endurteils: dieses tritt dem ganzen sonstigen Prozesse als etwas Uberwältigendes gegen-
über, so daß sich alles andere nur als Vorbereitung verhält. Die Richtigkeit und Form-
vollendung aller anderen Rechtshandlungen zielt lediglich dahin, ein gutes, richtiges Urteil zu
erlangen. Daher ist die Formenrichtigkeit einer sonstigen Prozeßhandlung niemals an sich
Voraussetzung für die Gültigkeit des Prozesses; ihr Fehlen kann nur möglicherweise herbei-
führen, daß es an den Prozeßvoraussetzungen fehlt (so der Mangel der Ladung des Beklagten);
dagegen ist die Formenrichtigkeit des Urteils eine Voraussetzung für die Gültigkeit des Prozeß-
ergebnisses. Mit Recht spricht daher auch die deutsche B PO. in Buch II Abschnitt 1 vom Ver-
fahren bis zum Urteil und vom Urteil.=
Urteilsvoraussetzung ist:
1. daß das Urteil in einem gültigen Verfahren erfolgt (insofern kommen die Prozeß-
voraussetzungen zugleich als Urteilsvoraussetzungen in Betracht)
2. daß es in der richtigen Form ausgesprochen wird und
3. von der richtigen Person.
Die Form ist die der Verkündung in einem dazu bestimmten gerichtlichen Termin durch
Vorlesung der Urteilsformel, wobei die Entscheidungsgründe miteröffnet werden können. Von
der Voraussetzung der Verlesung aus einer schriftlichen Niedersetzung (wie man im römischen
Rechte sagte, de periculo) kann in gewissen einfachen Fällen abgesehen werden (5 311 3PO.).
UÜber die abgekürzten Urteilsformen ist bereits oben (S. 318) gehandelt worden.
Die Verkündung erfolgt durch den Vorsitzenden in Gegenwart des Gerichts (§ 136 3PO.).
Die Folgen des Mangels dieser Voraussetzungen aber sind:
1. Das Urteil wird nichtig, wenn der Prozeß nichtig oder unterbrochen ist?; die An-
fechtung des Prozesses sicht auch das Urteil an.
2. Wenn das Urteil in einer anderen als der gesetzlichen Form gesprochen ist, daun ist es
nichtig; denn eine formelle Rechtshandlung ist nichtig, wenn es ihr an der Form gebricht
(5 125 BB.); die Form hat ihren guten Grund: sie soll die Uberlegung sichem, sie soll es
sichemm, daß das Urteil nicht mit bloß vorübergehenden, vorbereitenden Aussprüchen verwechselt
wird 3. Daher wire bei uns ein Urteil nichtig, das nicht verkündet, sondern zugestellt würde;
ferner ein Urteil, das nicht deutsch verkündet, sondern in einer fremden Sprache verlesen würde
1 Als nichtig betrachtete man kraft Inst. pac. Osnabr. XVII 3 auch jedes einer Bestimmung
des Westfälischen Friedens widersprechende Urteil. Contra hanc transactionem ... nulla jura
litispendentiae, quocunque tempore latae sententiae, res judicataa .... unqguam allegentur,
audiantur aut admittantr
: Vorbehaltlich der Bestimmung des §& 249 ZBPO.: das Urteil gilt hier siktiv als am Schluß
der mündlichen Verhandlung gesprochen.
if * Daher im kanonischen Prozeß die Bestimmung, daß der Richter das Urteil sedens fällen
munsse.