Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

342 J. Kohler. 
(5 186 GVG.) 1. Würde dagegen bloß gegen den Satz verstoßen, daß das Urteil schriftlich 
niedergesetzt und von der Niedersetzung verlesen werden soll, so wäre zu sagen, daß ein derartiges 
Urteil „ex abrupto“ dann als nichtig zu betrachten wäre, wenn der Mangel im Termin 
zur Geltung gebracht würde, oder wenn etwa das Gericht selbst auf Grund dessen sofort 
erklärte, daß das Gesagte ihm nicht entspreche und ein anderes Urteil folgen werde. Ist aber 
im Termin das Urteil anstandslos verkündet worden, so läßt sich nicht annehmen, daß dieser 
Mangel noch weitere Bedeutung hat?. 
3. Wenn das Urteil nicht von der richtigen Person verkündet worden ist, z. B. bloß vom 
Gerichtsschreiber oder einem Beisitzer, so ist es nichtig, auch wenn es vom Gericht gefunden 
worden ist. 
Der Inhalt des Urteils kann es nicht wirkungslos machen, denn der Inhalt kann höchstens 
unrichtig sein, und es ist ein Gesetz des Prozesses, daß die Gültigkeit der Entscheidung von ihrer 
Richtigkeit unabhängig ist (S. 257). Nur ein Fall ist als Grund der Wirkungslosigkeit an- 
zunehmen, wenn nämlich das Urteil etwas Unmögliches enthält, indem es entweder etwas 
sich selbst Widersprechendes feststellt oder eine Partei zu etwas Unmöglichem verurteilt. Ebenso 
wie ein Vertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft so muß auch das Urteil wirkungslos sein, wenn 
es etwas Unmögliches verlangt oder sich selbst widerspricht. Dies wäre zum Beispiel gegeben, 
wenn eine Entscheidung in einer Erfindersache im ersten Satz erklärte, daß eine Tätigkeit 
unter das Patent fällt, und im anderen Satz eine angeblich andere Tätigkeit als außerhalb 
des Patentes stehend bezeichnete, und es sich herausstellen würde, daß diese angeblich andere 
Tätigkeit technisch dieselbe Tätigkeit wäre wie die erste 3: hier würde das Urteil „ja“ und „nein“ 
zugleich sagen #. Ein anderer Fall wäre, wenn etwa das Gericht jemanden verurteilte, ein 
Gebäude in einer Weise aufzurichten, wie es technisch unmöglich wäre 5. Ahnliches ist schon 
vorgekommen #. Dagegen wäre eine solche Unmöglichkeit oder ein solcher Selbstwiderspruch 
gar nicht gegeben, wenn das Urteil etwas bestimmen würde mit einer angeblichen Ausnahme 
und es sich herausstellte, daß die Ausnahme unmöglich ist; denn hier bestimmt eben das Urteil 
effektiv etwas Ausnahmsloses'7. Man denke an den Fall, daß jemandem im Erfinderrecht 
einc bestimmte Tätigkeit verboten, jedoch unter einer genau beschränkten Bedingung ausnahms- 
weise erlaubt wird, und wenn es sich herausstellt, daß diese letztere Ausnahme technisch undurch- 
führbar ist: das Urteil bleibt doch gültig, denn A. minus etwas Unmöglichem ist eben A., also 
etwas Mögliches. Dasselbe würde überhaupt gelten, wenn das Gericht jemandem etwas Un- 
mögliches nicht geböte, sondern gestattete; es gestattet eben dann ein einfaches Nichts, und dies 
ist völlig gültig; zum Beispiel es erkennt dem A. das Eigentum, dem B. das Recht zu, auf 
dem Gelände Steinkohlen zu graben, welche nicht vorhanden sind; es gibt dem B. das Recht, 
Wasser zu leiten, während kein Wasser in der Nähe ist; es gibt das Recht des Fabrikbetriebes, 
während eine Fabrikanlage nicht möglich ist. Hier überall ist das Urteil gültig; es ist ebenso, 
wie wenn es auf ein Nichts ginge; ebenso wie das Mittelalter den Spielleuten als Wergeld 
den Schatten eines Schildes zuerkannte. 
Die Wirkungslosigkeit des Urteils in diesem Sinne ist eine völlige Wirkungslosigkeit; sie 
kann in der Weise zur Prüfung kommen, daß über dieselbe Frage noch einmal ein Prozeß be- 
1 RE. 18. 3. 1886 Entsch. XVI S. 331. 
: So bereits „Prozeß als Rechtsverhältniß" S. 58 f. 
* Dernburg-Kohler VI S. 559. 
* Oder wie es jüngst in einem Fall geschah: wenn das Urteil bestimmt hat, daß A. aus dem 
Bergwerk Galmei, B. die Blende bekommen soll, und eine solche Ausschneidung technisch un- 
möglich ist. Vgl. Wach in Rhein. Z. III S. 373 und IV S. 509 f. 
* Etwas Unmögliches läge auch dann vor, wenn das vom Gericht Gebotenc oder Gestattete 
außerhalb des sittlich Möglichen stünde, so, wenn das Gericht dem Gläubiger das Pfund Fleisch 
des Schuldners zuerkennen würde. Das wäre nichtig, auch wenn es rechtskräftig in aller Form 
ausgesprochen wäre. Einige sind anderer Ansicht; gut, daß sie das Experiment nicht an sich selbst 
vornehmen lassen müssen. Das gleiche würde gelten, wenn das Urteil zwei Gleichgeschlechtliche 
zum ehelichen Zusammenleben verurteilen wollte. 
* Vgl. Entsch. des Preuß. Obertrib. 3. Febr. 1852 Striethorst Archiv VI S. 16 f. 
7 Diesen Fall habe ich bereits im „Prozeß als Rechtsverhältnis“ S. 60 angedenutet. Es 
ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß künftig eine solche Ausnahmetätigkeit technisch möglich wird: 
dann kommt die Ausnahme zur Geltung, Lehrb. des Patentrechts S. 156.
	        
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