Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

Zivilprozeß- und Konkursrecht. 345 
b) Objektive Ausdehnung der Rechtskraft. 
8 74. Das Urteil soll nicht weiter reichen, als ein Urteil begeyrt ist, nicht weiter, als die 
Klage reicht, welche erhoben wurde; denn nur insoweit ist ein Entscheidungsobjekt für das 
Gericht gegeben. 
Daraus ergibt sich von selbst, daß die Erwägungen, welche das Gericht anstellt, in bezug 
auf sogenannte Präjudizialfragen, d. h. auf Fragen, aus deren Folgerungen heraus die Rechts- 
sache entschieden werden muß, keine feststellende Kraft haben können. Diese Erwägungen 
treffen nicht dasjenige, worüber Entscheidung begehrt wird; sie sind eine vorbereitende Ver- 
standestätigkeit, keine rechtsgeschäftliche Urteilstätigkeit. Sie sind es auch dann nicht, wenn 
das Urteil, was alleroings geschehen soll, sie in seinen Entscheidungsgründen erwähnt, denn 
das Urteil soll seine Entscheidung motivieren. Der Inhalt der Entscheidungsgründe ist also 
bloß intellektueller, nicht rechtsgeschäftlich-bestimmendeer Natur. Das ist der berühmte Satz 
daß Entscheidungsgründe nicht an der Rechtskraft teilnehmen; ein Satz, der lange verkannt 
war, namentlich deshalb, weil das Gegenteil von einem großen Mann vertreten wurde, 
der aber gerade dadurch kundgab, daß er nur Zivilist, nicht auch Prozessualist war, nämlich 
Savigny. Das Gegenteil würde schon darum zu den ungeeignetsten Folgen führen, weil 
hiemach das Gericht nicht nach Maßgabe der Klagesache, sondern der Präjudizialsache zuständig 
wäre; und wenn z. B. 40 Mk. Zinsen aus 1000 Mk. Kapital eingeklagt wären, so müßte das, 
Landgericht zuständig sein, weil in verbindender Weise über die 1000 Mk. Kapital mitentschieden 
würde. Heutzutage ist der richtige Satz nicht mehr bestritten und auch in der 8 PO., § 322, 
ausdrücklich hervorgehoben. Die Entscheidung über Zinsen ist nicht auch eine Entscheidung 
über das Kapital, die Entscheidung in der Prozeßfrage nicht auch eine Entscheidung über die 
Präjudizialfrage. Schwierigkeiten haben sich herausgestellt im Falle der Aufrechnung, nament- 
lich wenn der Richter die Aufrechnungsforderung für nicht vorhanden erklärt und darum 
die Aufrechnung als wirkungslos zurückweist. Zum Beispiel: gegen eine Forderung von 
100 Mk. wird eine Gegenforderung von 2000 Mk. aufgerechnet. Hier hat man vielfach be- 
hauptet, daß, wenn der Richter die Aufrechnungsforderung ablehnt, damit über die vollen 
2000 Mk. entschieden wäre; denn wenn von den 2000 Mk. auch nur etwas als vorhanden 
angenommen würde, so hätte die Auvfrechnung insofern gewährt werden müssen. Das ist völlig 
unzutreffend: der Richter hat die 2000 Mk. überhaupt nur insoweit in Betracht zu ziehen, als 
sie dazu dienen können, die 100 Mk. aufzuheben; daher kann seine Entscheidung die Gegen- 
forderung auch nur in diesem Betrage von 100 Mk. treffen. Das war auch schon früher an- 
zunehmen und ist nunmehr durch § 322 der neuen ZPO. ausdrücklich ausgesprochen worden. 
Allerdings besteht häufig ein Interesse daran, daß die präsjudizielle Frage ein für 
allemal erledigt wird; allein hier kann der Kläger durch Inzidentfeststellungsklage, der Beklagte 
durch Widerklage bewirken, daß die Entscheidung hierauf ausgedehnt wird; hierdurch wird 
dasjenige, was sonst nur intellektuell zum Zweck der Entscheidung des Hauptprozesses erörtert 
würde, zum Gegenstand einer rechtsgeschäftlichen Entscheidung im besonderen Prozesse ge- 
macht (§§ 280, 281 3 PO.). In diesem Fall wird, wenn der alte Prozeß bei dem Amtsgericht 
spielt und der neue Prozeß an das Landgericht gehört, beides auf Antrag durch Beschluß des 
Amtsgerichts an das Landgericht verwiesen (5 506 ZPO.), das an diese Verweisung gebunden 
ist (Rechtslage). 
Doch muß folgendes gelten: wenn aus einem dinglichen Rechte ein Anspruch geltend 
gemacht wird, also ein Eigentums-, ein Erbschaftsanspruch, romanistisch gesagt eine rei vindi- 
catio, eine hereditatis petitio, so ist darin schon ohne weiteres ein Feststellungsbegehren in- 
begriffen, und das Gericht hat daher nicht nur über die Ansprüche, sondern auch über das 
Eigentums= oder Erbrecht zu entscheiden; denn im Anspruch wirkt das Recht selbst, und zwar 
unmittelbar: Anspruch und Recht stehen nicht in einem Präjudizialverhältnis, sondern im Ver- 
hältnis des ruhenden und wirkenden Seins. 
c) Subjektive Ausdehnung der Rechtskraft. 
§ 75 Ucber die subjektive Ausdehnung der Entscheidungswirkung bestimmt das römische 
Recht folgendes:
	        
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