Zivilprozeß- und Konkursrecht. 353
entscheiden, was Rechtens ist. Doch gibt es Fälle, wo das praktische Bedürfnis die Rechts-
ordnung dazu vermocht hat, dem Richter ein solches bedingtes Urteil zu gestatten oder selbst
vorzuschreiben.
Der 1. Fall ist der des Urkundenprozesses. Hier wird, wie noch auszuführen, auf Grund
eines unvollständigen Beweismaterials entschieden, wobei dem Beklagten das Vorbringen
der nicht sofort beweislichen Einwendungen vorbehalten wird (§§ 598, 599 Z PO.). Der ge-
meine Prozeß hatte hier zwei Prozesse: in einem Prozeß wurde der Beklagte auf Grund des
mangelhaften Materials verurteilt; in einem zweiten Prozeß aber wurde ihm eine Kondiktion
gegeben, um das, auf was er verurteilt war, wiederzuerlangen: solve et repete: im zweiten
Prozeß war der ursprüngliche Beklagte Kläger, der ursprüngliche Kläger Beklagter. Wir haben
an Stelle dessen nur einen Prozeß, aber ein doppeltes Verfahren, indem die vorbehaltenen
Einwendungen in ein Nachverfahren kommen, das zu einer Korrektur des Vorbehaltsurteils
führen kann (§§ 599, 600 ZPO.); hier bleibt also der Kläger Kläger, der Beklagte Beklagter.
Diesem Fall sind andere nachgebildet, so 2. der Fall der Aufrechnung. Schon das
gemeine Recht hatte sich die Schwierigkeit vor Augen gestellt, daß einer alsbald zu erweisenden
Klage eine weitaussehende Kompensationseinrede entgegengestellt würde, wodurch dem Be-
klagten ein bequemes Mittel gegeben ist, den Prozeß in die Länge zu ziehen, da eine Auf-
rechnung auch mit einer nicht zusammenhängenden Forderung möglich ist. Dieser Schwierig-
keit suchte man im gemeinen Prozeß durch Zerlegung in zwei Prozesse abzuhelfen. An Stelle
dessen gilt bei uns die Einheit des Prozesses mit Vorbehaltsurteil und Nachverfahren 1; dies
tritt ein, sei es, daß die Aufrechnung als Einrede geltend gemacht wird, sei es, daß sie außer-
gerichtlich vorgebracht und darauf eine prozessuale Einwendung gebaut wird; es tritt ein, sofem
der Aufrechnungsanspruch nicht in Sachzusammenhang steht mit dem Klageanspruch, d. h. nicht
aus demselben Rechtsverhältnis hervorgeht; in letzterem Fall wäre ein Vorbehaltsurteil nicht
gestattet, sondern müßte alles zugleich erledigt werden (§ 302 ZPO.).
Ein 3. Fall ist gegeben im Berufungsverfahren, wenn Einwendungen
(oder Einreden) wegen grob schuldhafter oder arglistiger Verspätung zurückgewiesen werden:
sie sollen nicht endgültig verloren sein; da sie aber in einem etwaigen Revisionsverfahren nicht
nachgebracht werden können, so wird das Urteil als Vorbehaltsurteil erlassen und wird dem
mit der Einwendung Ausgeschlossenen durch Nachverfahren geholfen (§§ 279, 540 Z PO.).
Ein 4. Fall ist, wenn eine Aufrechnung in zweiter Instanz neu gebracht wird, die
bereits in erster Instanz hätte gebracht werden können: hier wird sie (auf Antrag) zurück-
gewiesen, aber ein Nachverfahren gestattet (S 529 3PO.)?.
Hebt das neue Urteil das alte auf, so ist die auflösende Bedingung eingetreten, und das
auf Grund des alten Urteils Gezahlte erweist sich als zu unrecht gezahlt, der dem Beklagten
zugefügte Schaden als objektiv widerrechtlich und zudem im Falle 1 und 2 durch voreiliges
Begehren veranlaßt; daher Bereicherungs= und in diesen zwei Fällen Schadensersatzanspruch;
über beides kann im Nachverfahren miterkannt werden, denn der Prozeß soll, was er zu
Unrecht gebracht hat, selbst wieder aufgeben (§§ 302, 529, 541, 600 ZPO.); und zwar gelten
hier, was den Bereicherungssatz betrifft, rechtsähnlich die Grundsätze des 5 820 Abs. 1 BG.
III. Rechtsmittel.
1. Allgemeines.
g 81. Eine eigenartige Idee, die sich aber an verschiedenen Teilen der Erde entwickelt
hat, ist die Idee der Rechtsmittel. Man erkennt die Irrtumsfähigkeit der Menschen an und
damit auch die Irrtumsfähigkeit des Richters; und nicht nur dies, auch die Möglichkeit bösen
Willens und absichtlicher Rechtsverkehrung: und man sucht sich in verschiedener Weise dagegen
1 Dies war schon unter der früheren 83PO. anzunehmen, obgleich es ganz unrichtig be-
stritten worden ist; vgl. bereits „Prozeß als Rechtsverhältnis“ S. 77 f., 136 f.; Zeitschr. f. Zivil-
prozeß XX, S. 1 f. Seit der BPO. von 1898 ist kein Zweifel mehr.
* Noch andere Fälle können sich ergeben, wenn nach § 275, 304 Z3Z PO. das Untergericht das
Verfahren fortsetzt, trotzdem die Vorfrage in höherer Instanz schvebt. Kommt das Untergericht
Encyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band III. 23