Zivilprozeß- und Konkursrecht. 359
Die Frage, ob und welche Fehler vorliegen, wurde früher der freien Untersuchung des Reichs-
gerichts überlassen. Sie ist es jetzt noch, was den error in jucicando betrifft; dagegen können
errores in procedendo nur berücksichtigt werden, wenn sie in der Revisionsbegründung oder
Revisionsanschließung bezeichnet worden sind; darum hat der Revisionseinleger unter allen
Umständen innerhalb einer (richterlich erstreckbaren) Revisionsbegründungsfrist von einem Monat
(seit Ablauf der Revisionsfrist) eine Revisionsbegründungsschrift einzureichen, und in der gleichen
Frist muß eine etwaige Revisionsanschließung erfolgen. Nur die in diesen Schriften angegebenen
errores in procedendo sind zu berücksichtigen, während in bezug auf die errores in judicando das
Gericht nicht beschränkt ist und einen error berücksichtigen kann, den der Revisionseinleger gar
nicht bezeichnet hat. Die Begründungsschrift muß außerdem die Revisionsanträge enthalten,
d. h. die Erklärung, inwieweit das Urteil abgeändert werden soll, ob ganz oder teilweise
(3& 554, 556, 559, 561).
Liegt ein nach obigen Grundsätzen entscheidender Fehler in der Prozeßführung vor, so
muß man natürlich aufheben und die Sache zurückverweisen, und zwar wird nicht nur das Urteil
aufgehoben, sondern auch das Verfahren, soweit es von diesem Mangel betroffen wird, also
möglicherweise nur das Verfahren von einem bestimmten Zeitpunkte an. Handelt es sich aber
um einen Irrtum in der Entscheidung, dann kommt in Betracht, daß das Reichsgericht nicht
eine staatliche Vernichtungsbehörde, sondern selbst ein entscheidendes Gericht ist; und wenn es daher
in der Lage ist, ein positives Urteil in der Sache zu geben, so hat es dies zu tun, und die
Zurückverweisung fällt weg; was auch sehr praktisch ist, denn dadurch werden Mühe und Kosten
erspart. So kann es insbesondere auch geschehen, daß das Reichsgericht trotz der falschen Rechts-
auffassung des vorigen Gerichts zu der nämlichen Entscheidung kommt und somit die Ent-
scheidung bestätigt, weil sie durch andere, vom Untergericht nicht geltend gemachte Gründe
gedeckt ist. Ist dies nicht der Fall, und ist das Reichsgericht infolge mangelnder tatsächlicher
Feststellung nicht in der Lage, ein Urteil zu geben, so erfolgt Aufhebung und Zurückverweisung:
die Zurückverweisung geschieht in Deutschland nicht an ein anderes Gericht, sondern an das-
selbe Oberlandesgericht; doch kann sie an einen anderen Senat desselben Gerichts erfolgen.
Mit der Aufhebung und Zurückverweisung entsteht eine prozessuale Rechtslage in der
Art, daß die Aufstellung der vom Reichsgericht für richtig erklärten Norm, mag nun diese Auf-
stellung selber richtig oder irrig sein, für den bestimmten Prozeß maßgebend wird. Das Unter-
gericht und, wenn die Sache an das Reichsgericht zurückkommt, auch das Reichsgericht muß
daher in diesem Prozeß davon ausgehen, daß die Sache endgültig in eine bestimmte
Rechtslage gekommen ist. Wenn mithin das Untergericht an diese Meinung des Reichs-
gerichts gebunden ist, so ist dies kein Gewissenszwang; denn das Untergericht entscheidet den
Rechtsstreit nach dieser Meinung, nicht weil es die vom Reichsgericht angenommene Rechts-
auffassung für die richtige hält, sondern weil der Prozeß in eine derartig gestaltete prozessuale
Lage gekommen ist und der Richter natürlich den Prozeß in der Lage, in der er sich befindet,
zum Gegenstand urteilsmäßiger Abwandlung zu machen hat (§§s§ 563—565 ZPO.). Daher
können auch neu aufgefundene Rechtsquellen ebensowenig hier berücksichtigt werden wie über-
haupt nach rechtskräftiger Entscheidung 1.
4. Beschwerde.
8 84. Die Beschwerde setzt nicht den Schluß des Prozesses voraus; sie durchkreuzt
den Prozeß und führt zu einem besonderen Verfahren, aber regelrecht zu einem Einzel-
verfahren über einen besonderen Punkt. Die der Beschwerde unterliegende Entscheidung kann
ein Zwischenurteil (ein Zwischenurteil mit Rücksicht auf Dritte: ein Zwischenurteil über Neben-
intervention oder über Zeugnisverweigerung) sein (s§s 71, 387 Z PO.), auch ein Zwischenurteil
nach § 135, oder auch ein Endurteil, dies im Fall des § 99 Abs. 3 Z PO.; meist aber handelt
es sich um einen Beschluß, dessen Aufhebung oder Anderung in der Beschwerde begehrt wird.
Insofern entspricht die Beschwerde der Urteilsschelte und der Berufung gegen Zwischenurteile
im kanonischen Recht. Sie unterscheidet sich aber von der Berufung in der Form und das
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: NG. 3. ö. 1911 Entsch. 76 S. 189.