Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

360 J. Kohler. 
durch, daß sie den weiteren Gang des Prozesses nicht hemmt; es müßte denn sein, daß von 
seiten des Unter= oder Obergerichts eine solche Hemmung angeordnet wird; nur in wenigen 
Fällen hat sie an sich aufschiebende Wirkung (§ 572 ZPO.). Auch ist das Verfahren ein ab- 
gekürztes; es findet regelmäßig kein mündlicher Termin statt, und wenn ein solcher stattfindet, 
so hat er bloß belehrenden, nicht rechtsgeschäftlichen Charakter (§573 B8PO.). Vgl. S. 287 f. 
Gegen die Beschwerdeentscheidung kann möglicherweise eine weitere Beschwerde statt- 
finden; jedoch hat man im allgemeinen den Grundsatz festgehalten, daß, wenn zwei Entschei- 
dungen im nämlichen Sinne ergangen sind (die Entscheidung des ersten Gerichts und des Be- 
schwerdegerichts), eine weitere Beschwerde ausgeschlossen ist 1; denn wenn die beiden Gerichte 
übereinstimmen, so hat die Entscheidung die Vermutung der Richtigkeit für sich. 
Früher war das Beschwerderecht in ganz ungemessener Weise ausgedehnt; die Novellen 
haben einige Beschränkungen eingeführt, namentlich in der Art, daß gegen Entscheidungen des 
O. keine Beschwerde zulässig ist; haben solche Beschwerden doch das Reichsgericht seinerzeit 
außerordentlich überlastet und mit vielem Kleinkram überbürdet, § 567 ZPO. 
In den meisten Fällen unterliegt das Beschwerderecht keiner Frist; man bedarf ihrer 
nicht: denn der Beschwerdeführer wird an und für sich Grund genug haben, die Beschwerde 
so bald als möglich zu erheben, weil sonst das Verfahren weitergeht und er mit seiner Beschwerde 
„überholt“ ist; denn ist das Urteil gesprochen, so hat die Beschwerde keine Bedeutung mehr, 
weil der Richter das Urteil doch nicht mehr ändern kann, auch wenn er seine Fehlerhaftigkeit 
einsieht. In gewissen Fällen aber besteht ein wesentliches Interesse, daß die Beschwerde so bald 
als möglich angebracht wird; man nennt sie dann sofortige Beschwerde und bindet sie an eine 
Notfrist von zwei Wochen. Dies gilt namentlich von den Beschwerden im Vollstreckungs- 
verfahren, wo kein Endurteil im Hintergrunde steht, eine Uberholung nicht stattfindet und daher 
sonst eine Beschwerde ins unendliche hinein möglich wäre. Die zweiwöchige Frist kann eine 
Erstreckung erfahren: die sofortige Beschwerde kann mit Rücksicht auf ihre Begründung die Be- 
deutung einer Nichtigkeits- oder Restitutionsklage haben; dann wird die Frist nach Maßgabe 
dieser (also jedenfalls auf einen Monat) erhöht (§§ 577, 586 ZPO.). 
Besondere Bedeutung hat die Beschwerde im Untersuchungsverfahren, wo es keine Be- 
rufung und keine Revision gibt (S§s 663, 680, 947, vgl. 567 ZPO.). 
5. Einspruch. 
§ 85. Wie die Rechtsmittel, so beruht auch der Einspruch auf der auflösenden Bedingung 
des Urteils. Regelrecht ist nämlich jedes Versäumnisurteil in der Art bedingt, daß es durch 
ein zweites Urteil wieder aufgehoben werden kann, welches auf Grund einer zweiseitigen 
Verhandlung erfolgt. Der Unterschied von den eigentlichen Rechtsmitteln besteht nur darin, 
daß der Einspruch die Sache an das nämliche Gericht, nicht, wie das Rechtsmittel, an ein 
höheres bringt. 
Die Einrichtung stammt aus dem deutschen Recht: es ist ein alter, namentlich in Frank- 
reich lange beibehaltener Grundsatz, daß die einmalige Versäumnis noch nicht zu einem end- 
gültigen Eingreisen gegen den Säumigen führt, sondern erst die dritte oder gar erst die vierte 
Versäumnis 2. Daraus hat sich im französischen Recht folgendes System entwickelt: die erste 
Versäumnis führt zu einem einstweiligen (auflösend bedingten) Ergebnis, das kraft dieser Be- 
dingung beseitigt werden kann, indem ein zweiter Termin begehrt wird. Und dieses alt- 
germanische System ist wieder nach Deutschland übergegangen, wo bis dahin das römische 
System gegolten hatte: hier war nur gegen eine schuldhafte Versäumnis eine Hilfe, die Wieder- 
1 Der § 568 B8 PO. verlangt zur weiteren Beschwerde einen neuen selbständigen Beschwerde- 
grund, der bei sententiae pares nicht vorhanden zu sein pflegt. Immerhin ist im Gesetz der Ge- 
danke in wenig erfreulicher Weise ausgedrückt. 
* Dies hing mit den Volksgerichten zusammen. Die Klage wurde im Volksding erhoben. 
War der Beklagte nicht anwesend, so konnte man ihn nicht schon wegen der ersten Abwesenheit 
aburteilen. Im übrigen vgl. Ungehorsam und Vollstreckung, S. 78 f. Nach dem Stile de Bour- 
bonnais von 1521 (bei Auroux de Pommiers, Cout. de Bourb. II p. 1f.) war je nach 
Wichtigkeit der Sache bald die erste, bald die zweite, bald die dritte Säumnis maßgebend.
	        
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