Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

380 J. Kohler. 
genügt Überschuldung, d. h. eine Vermögenslage mit Überwiegen der Passiven (88 102ff., 
207 ff. KO.). 
Manche Gesetze gestatten die Konkurseröffnung von Amts wegen, wir nur auf Antrag. 
Der Antrag kann verschiedene Bedeutung haben: wenn ihn der Schuldner stellt, so ist dies eine 
Vermögensabtretung, d. h. eine Übertragung des Vermögens von seiten des Schuldners in das 
Gläubigerbeschlagsrecht; etwas, was man besonders begünstigt, weil, je fiüher der Konkurs 
eintritt, desto mehr die Interessen der Gläubiger gewahrt werden können, während ein 
Hinauszögern meist die Lage aller außerordentlich verschlimmert. Man nennt einen solchen 
Konkurs auch freiwilligen Konkurs. Im Gegensatz hierzu steht der Konkurs auf 
Antrag eines oder mehrerer Gläubiger: dieser Antrag ist Vollstreckungsantrag. Unsere 
Konkursordnung läßt einen jeden, auch einen geringfügigen Gläubiger, zum Konkursantrag 
zu. Das geht zu weit, und mit Recht hat das englische und amerikanische Gesetz bei einer 
derartigen tiefeingreifenden Maßregel Beschränkungen gesetzt und namentlich einen bestimmten 
Gläubigerbetrag verlangt (§##§ 103 f. KO.). 
Eine dritte Art der Konkursveranlassung ist es, wenn der Schuldner nicht in seiner vollen 
Persönlichkeit den Antrag stellt; dies ist der Fall bei juristischen Personen, namentlich Vereinen 
und Handelsgesellschaften, wenn nicht alle Vorstandsmitglieder (alle offenen Gesellschafter), 
sonderm nur einer oder mehrere derselben den Antrag stellen (5§§8 102 ff., 207 ff. KO.). 
Eine vierte Art endlich ist der Antrag der Aufsichtsbehörde; es ist dies der Fall bei Ver- 
sicherungsgesellschaften, nach dem Privatversicherungsgesetz vom 12. Mai 1901 (§ 68). 
e) Stellung des Gantschuldners. 
§ 100. Von jeher hat man den nicht zahlenden Schuldner mehr oder minder bedrückt; 
früher ging man ihm an Leib und Leben, später an Ehre und Freiheit 1; dies hat man auf- 
gegeben; doch bleiben auch jetzt noch manche Erniedrigungen dem Gantschuldner nicht erspart: 
denn einerseits will man ihm, dessen Vermögen in fremder Verwaltung ist, und der auf solche 
Weise die Selbständigkeit verloren hat, nicht die volle Initiative eines freien Bürgers zugestehen: 
auf der anderen Seite bedurfte die Gläubigerschaft von jeher besonderer Zwangsmittel gegen 
den Gantschuldner, um das Vermögen zu sichern, und um die zur Verwertung nötige Aus- 
kunft zu erlangen. So kommt es, daß der Gantschuldner ganz persönlichen Eingriffen unter- 
worfen wird, die man bei der sonstigen Zwangsvollstreckung den Gläubigern nimmer zugesteht. 
Namentlich gehört hierher der Wohnortszwang, die Befugnis, den Gantschuldner zu verhaften, 
und sodann die Befugnis des Briefbeschlags, welchen sonst nur der Strafprozeß kennt (55 100 f., 
121 KO.). Im übrigen aber behält er sein Persönlichkeitsrecht, er bleibt rechts- und geschäftsfähig. 
4) Beschlagsrecht. 
a)Allgemeines. 
§ 101. Wie die gewöhnliche Vollstreckung so verschafft die Konkurseröffnung den Gläubigern 
ein Wertrecht am Vermögen des Schuldners, und zwar ein Wertrecht in der Art des sozialen 
Beschlagsrechts:, welches nicht nur die Befugnis der Veräußerung gibt, sondern die 
Befugnis jedweder Verwertung. 
  
  
1 BVgl. mein Werk „Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz“ (1883). 
* Daß man gegen das Beschlagsrecht immer noch Einwände macht, muß um so mehr auf- 
fallen, als bis jetzt noch keine andere Konstruktion gefunden worden ist, welche die Erscheinungen. 
des Konkurses wissenschaftlich erklären könnte, insbesondere die, daß der Gantschuldner völlig 
rechts= und geschäftsfähig bleibt und seine Rechtshandlungen völlig wirksam sind, vorbehaltlich 
des Rechtes der Gläubiger, so daß, wenn das Beschlagsrecht wegfällt, die inzwischen erfolgten 
Rechtshandlungen nicht etwa wirksam werden, sondern sich als von jeher wirksam zeigen. Das 
R. ist einigemal, z. B. VII. Zivilsenat, 4. 11. 1902 Rep. 259, 1902, der Beschlagsrechtsidee sehr 
nahe gekommen. Unrichtig dagegen hat es 24. 4. 1909 Entsch. 71 S. 39 erkannt, daß der Gant- 
schuldner kein Grundstück mehr auflassen dürfe, so daß das Grundbuch für ihn jetzt vollkommen 
esperrt wäre. Das ist eine vollständige Verkennung der Relativität des „Beräußerungsverbotes“. 
Ebenso unrichtig sind die Entscheidungen, welche die Gläubigerschaft für gebunden erklären, wenn der 
Schuldner als Eigentumshypothekar den nachfolgenden Hypotheken formlos den Eintritt zugesagt hat.
	        
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