386 J. Kohler.
soll, so muß man dem Gantschuldner eine materiellrechtliche Erleichterung geben. Dies ge-
schieht entweder durch Stundung oder durch Erlaß eines Teiles der Forderungen: solches pflegt
der Inhalt des Zwangsvergleichs zu sein; wozu noch kommt, daß dem Gantschuldner ein Ver-
gleichsbürge zur Seite treten kann, so daß die Vergleichssumme zwar unter der Höhe der
Forderungen bleibt, aber eine besondere Sicherung genießt. Nichtzahlung der Vergleichs-
summe gibt nach unserem Rechte keine Befugnis, die Emeuerung des Konkurses zu be-
gehren; eine solche tritt nur ein, wenn der Gantschuldner nachträglich wegen betrüglichen
Bankerotts verurteilt wird, in welchem Falle der Konkurs auf Antrag wieder emmeuert wird,
jedoch unter Berücksichtigung dessen, daß das Beschlagsrecht der Gläubiger in der Zwischenzeit
aufgehört hat und die Verfügungen des Gantschuldners in der Zwischenzeit gültig waren
(&§ 197 ff.). Es ist dies der oben (S. 370) erwähnte Fall einer Einheit des Konkurses mit einer
Mehrheit des Verfahrens. Sonst hat der Betrug bei Abschluß des Zwangsvergleichs nur zur
Folge, daß der Vergleichsnachlaß von jedem einzelnen Gläubiger angefochten werden kann
(§ 196 KO.). «
Da der Vergleich ein prozessualischer ist und daher nur ganz oder gar nicht geschlossen
werden kann, so ist es unvermeidlich, daß die Mehrheit die Minderheit bindet; denn man
muß der Mehrheit ein gewisses Übergewicht geben, wenn es sich darum handelt, ob eine heil-
same Maßregel stattfinden soll oder nicht. In der Berechnung dieser ausschlaggebenden
Mehrheit bestehen die allewerschiedensten Systeme; seit längerer Zeit ist das System beliebt,
wonach eine doppelte Mehrheit verlangt wird, so in der deutschen KO. § 182;: die einfache
Mehrheit der erschienenen Gläubiger und Dreiviertelmehrheit der Summe der zu be-
rücksichtigenden Anmeldungen (§§ 182 f. KO.).
Der Zwangsvergleich beschränkt die Forderung aller Konkursgläubiger, auch derjenigen,
welche sich bei dem Konkurs nicht beteiligt haben, aber er beschränkt
1. nur die Forderung gegen die Gantschuldner, nicht die Forderung gegen die Mitschuldner
und Bürgen (§5 193 KO.);
2. er beschränkt nicht die Forderung an sich, sonderm nur ihre inländische Vollstreckungs-
kraft; für das ausländische Vermögen gilt der Zwangsvergleich nicht 7.
Außerdem kann der Konkurs erledigt werden durch Einstellung bei Verzicht der Gläubiger
(Gantverzicht); er kann auch eingestellt werden, wenn die Aktiven so gering sind, daß sie
die Kosten nicht decken, so daß ein Konkursverfahren ergebnislos wäre und daher keinen
Zweck hätte (5s 202 f. KO.).
1) Sanierungen.
§ 106. Die Neuzeit hat noch andere Mittel teils gefunden, teils zu ermitteln gesucht, um
notleidende Veranstaltungen, namentlich Aktiengesellschaften zu retten. Man hat erwogen,
daß die Konkurseröffnung, wenn der Konkurs auch noch so schonend vor sich geht, doch große
Störungen herbeiführt. Man sucht daher womöglich diese Konkurseröffnung zu vermeiden und
in anderer Weise nachzuhelfen; namentlich handelt es sich darum, womöglich die Gesellschaft
aufrechtzuerhalten, ihre Anlagen und Einrichtungen zu wahren und es zu vermeiden, daß der
Betrieb ins Stocken kommt, und daß dadurch eine Zerstörung von Werten und eine wirt-
schaftliche Schädigung des ganzen Gewerbewesens stattfindet. Darum hat man insbesondere
bei dem Konkurs von Versicherungsgesellschaften, dem Konkurs von Banken, dem Konkurs
von Eisenbahnen mehr oder minder versucht, erhaltende Einrichtungen zu treffen; doch ist
das ganze Sanierungswesen noch in seinen Anfängen begriffen und sehr entwicklungsbedürftig.
Am verbreitetsten ist die Einrichtung des sogenannten Präventivakkords, der namentlich
bei diesen Gesellschaften und Anstalten bedeutungsvoll ist, aber auch bei Einzelpersonen gute
Dienste tun kann. Er besteht darin, daß einstweilen das Vermögen gesichert und unter Ver-
meidung des Konkurses ein Zwangsvergleich der Gläubiger erstrebt wird. Das Institut hat
sich in Belgien entwickelt und ist von da nach Frankreich, Italien und in andere Länder über-
gegangen; wir haben es leider noch nicht.
1 Berner Appell.hof 27. 6. 1912 Z. Bern. Juristen V. 49 S. 413.
2 Vgl. meinen Aufsatz in den Annalen des Deutschen Reichs 1902 S. 633 f.